Herman Nohl und die NS-Zeit
Herman Nohl und die NS-Zeit
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I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />
f<strong>und</strong>amental einer kritischen Historiographie entgegen. In <strong>die</strong>ser Schrift <strong>Nohl</strong>s wird in<br />
ganz gezielter Weise eine Sichtung <strong>und</strong> Wichtung der vorhandenen theoretischen <strong>und</strong><br />
praktischen Ansätze 26 der Pädagogik in Deutschland vorgenommen, <strong>die</strong> weitgehend bis<br />
in <strong>die</strong> siebziger Jahre der B<strong>und</strong>esrepublik <strong>und</strong> teilweise bis heute als Gr<strong>und</strong>positionen<br />
ihren Platz haben.<br />
Der Anspruch <strong>Nohl</strong>s ist, aus den verschiedenen Autoren <strong>und</strong> Ansätzen ein harmonisches<br />
Ganzes, eine „deutsche pädagogische Bewegung“ zu konstruieren, <strong>die</strong> trotz aller<br />
unterschiedlicher Akzentsetzungen seit über einh<strong>und</strong>ert Jahren an dem einen Ziel<br />
arbeitet: der Bildung des deutschen Volkes im doppelten Sinne des Wortes. Die „nationale<br />
Erziehung“ als Erziehung zur Nation (vor 1871) <strong>und</strong> als Erziehung der Nation, der<br />
Erziehung des „deutschen Typus“, 27 das sind <strong>die</strong> beiden zentralen Achsen des Konstrukts<br />
von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>.<br />
<strong>Nohl</strong>, der sich als Schüler Diltheys vorstellt <strong>und</strong> dessen Gr<strong>und</strong>ausrichtung als Spannung<br />
zwischen „nationalem Ethos“ <strong>und</strong> objektiver Wissenschaft charakterisiert, überträgt<br />
<strong>die</strong>ses Bild vom Spannungsfeld auf seine eigene Arbeit.<br />
Der durchgehende Zug in <strong>Nohl</strong>s Schriften ist <strong>die</strong> Denkfigur der „polaren Gegensätze in<br />
der Erziehung“. <strong>Nohl</strong> benennt in seinen Analysen immer zwei Seiten des pädagogischen<br />
Problems: das Individuum (das Subjektive fördern) einerseits <strong>und</strong> objektive Anforderungen<br />
(der Gemeinschaft genügen) andererseits. Freier Wille einerseits <strong>und</strong> Erziehung<br />
zum Gehorsam andererseits usw. Die Akzentsetzung, so seine Gr<strong>und</strong>these, sei Sache der<br />
„geschichtlichen St<strong>und</strong>e“, mal sei <strong>die</strong>s mehr betont, mal jenes, aber keines <strong>die</strong>ser<br />
gegensätzlichen Elemente dürfe übersehen werden. Und wenn doch, dann nur vorübergehend,<br />
aufgr<strong>und</strong> der so genannten „geschichtlichen St<strong>und</strong>e“. So gelingt es <strong>Nohl</strong> ohne<br />
Probleme, durch eine Akzentverschiebung je nach der „geschichtlichen St<strong>und</strong>e“ aktuell<br />
26 So hat etwa folgende Formulierung <strong>Nohl</strong>s sozusagen lexikalischen Charakter erhalten: „Die Gr<strong>und</strong>lage<br />
der Erziehung ist also das leidenschaftliche Verhältnis eines reifen Menschen zu einem werdenden<br />
Menschen, <strong>und</strong> zwar um seiner selbst willen, dass er zu seinem Leben <strong>und</strong> seiner Form komme“ (<strong>Nohl</strong>:<br />
Pädagogische Bewegung, 1935, S. 169). Hier sei allerdings noch hinzugefügt, dass <strong>Nohl</strong> „Liebe <strong>und</strong><br />
Gehorsam“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, S. 245) als <strong>die</strong> beiden entscheidenden Mächte ansieht.<br />
27 Der Begriff des „Typus“ in der Erziehungswissenschaft, der bei <strong>Nohl</strong> in der Form des „deutschen<br />
Typus“ <strong>und</strong> des „nationalen Typus“ auftaucht, ist eine Denkfigur, <strong>die</strong> insbesondere bei Eduard Spranger<br />
<strong>und</strong> Peter Petersen <strong>die</strong> Individualisierung pädagogischen Handelns konterkariert, indem einzelne<br />
Educandi sehr rasch <strong>und</strong> umstandslos einem „Typus“ zugeordnet werden. Es ist verblüffend, dass unter<br />
den vielen Dissertationen <strong>und</strong> Qualifikationsarbeiten zu <strong>Nohl</strong> sich zu <strong>die</strong>ser Frage der „Typenbildung“<br />
zumindest dem Titel nach keine Arbeit findet, obwohl <strong>Nohl</strong> gerade in „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“ (1938)<br />
massiv mit <strong>die</strong>ser Kategorie des „Typus“ arbeitet.<br />
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