Herman Nohl und die NS-Zeit
Herman Nohl und die NS-Zeit
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II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />
möglich, ein Recht auf einen Boden zu behaupten, wenn <strong>die</strong> Menschen ihn verlassen.“<br />
(<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 35)<br />
Neben seinen Forderungen, das Leben auf dem Lande zu verbessern, um der Landflucht<br />
entgegenzuarbeiten, geht es <strong>Nohl</strong> im Folgenden vor allem um <strong>die</strong> „seelische <strong>und</strong><br />
sittliche“ Bedeutung:<br />
„Die geistige Bedeutung ist seit Rousseau <strong>und</strong> Pestalozzi immer gesehen worden,<br />
am schönsten vielleicht von Friedrich Paulsen in seinem Aufsatz: Das Dorf als Bildungsstätte.<br />
Das Kind erfährt hier <strong>die</strong> ewigen Elemente des Lebens, sowohl seinen<br />
Inhalten wie seiner Technik nach. Es erfährt sie nicht abstrakt aus dem Buch, sondern<br />
konkret im lebendigen Ablauf des Jahres <strong>und</strong> seiner Arbeit, nicht nach der Willkür<br />
des Schulmeisters, sondern aus der Notwendigkeit der Natur mit Sonne <strong>und</strong> Regen,<br />
Sommer <strong>und</strong> Winter, Säen <strong>und</strong> Ernten, <strong>und</strong> nicht als Belieben der Menschen wie<br />
in allem Zivilisatorischen in der Stadt, sondern als organisches Wachsen <strong>und</strong> Vergehen:<br />
wie Pflanze <strong>und</strong> Tier, so auch der Mensch, schicksalgeb<strong>und</strong>en an seinen Boden,<br />
an den Hof <strong>und</strong> sein Gesetz. Der rasche Intellektualismus der Städter verstummt hier<br />
vor einer tieferen Wirklichkeit, <strong>die</strong> einfacher, aber dauernder ist, einen längeren<br />
Lebensatem hat <strong>und</strong> redlicher ist. Der eigentliche Kern <strong>die</strong>ser Lebenshaltung ist aber<br />
das, was ich den ‚Idealismus des Landes‘ nenne.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34,<br />
S. 38 f., Hervorhebung im Original)<br />
In <strong>die</strong>ser Passage – nun auch Pestalozzi bemühend – wird <strong>die</strong> romantisierende Seite<br />
rassistischer, biologistischer <strong>und</strong> eben auch „naturverb<strong>und</strong>ener“ Argumentationsfiguren<br />
deutlich, <strong>die</strong> vor <strong>und</strong> nach der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> ebenfalls in Blüte standen <strong>und</strong> stehen. Dieser<br />
„Idealismus des Landes“ lappt ins Mystische, oft auch Religiöse; jedenfalls hat der<br />
Intellekt zu verstummen, das „Überwältigende“, ja „Erhabene“ der Natur lehrt in <strong>die</strong>ser<br />
Argumentationsfigur, sich „schicksalgeb<strong>und</strong>en“ in das Organische hineinzubegeben,<br />
sich an „Blut <strong>und</strong> Boden“ zu binden.<br />
<strong>Nohl</strong> – eben noch der Reagrarisierung <strong>und</strong> Naturbegeisterung verhaftet – warnt dann<br />
auch vor der Enge des bäuerlichen <strong>und</strong> ländlichen Lebens. Aber hier ist laut <strong>Nohl</strong> ja nun<br />
seit 1933 Abhilfe geschaffen. <strong>Nohl</strong> schreibt über <strong>die</strong> Abstinenz der bäuerlichen Jugend<br />
gegenüber der Wandervogelbewegung:<br />
„Man muss sich <strong>die</strong> Polarität <strong>die</strong>ses Zuges zu dem landwirtschaftlichen deutlich<br />
machen, um <strong>die</strong> Spannung zu sehen, <strong>die</strong> in der Geistigkeit der deutschen Bewegung<br />
an <strong>die</strong>ser Stelle enthalten ist. Die bäuerliche Jugend nahm an <strong>die</strong>ser Jugendbewegung<br />
nicht teil, sie wird erst heute von der Hitler-Jugend erfasst, <strong>die</strong> an ganz anderer<br />
Stelle angreift <strong>und</strong> <strong>die</strong> Landbevölkerung zu jenem Enthusiasmus für das Ganze erzieht,<br />
der ihr von Haus aus schwerfällt.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 41, Hervorhebung<br />
im Original)<br />
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