Herman Nohl und die NS-Zeit
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III. Nach 1945<br />
Funktion von Befehl <strong>und</strong> Gehorsam bei <strong>die</strong>sen Verbrechen bietet. Wenngleich auch hier<br />
das Problem angelegt ist, <strong>die</strong> Teilnahme an Verbrechen lediglich aus „Befehlsnotstand“<br />
<strong>und</strong> „übertriebenem Pflichtgefühl“ zu erklären. Der Frage nach den „willigen Vollstreckern“,<br />
den Denunzianten aus Überzeugung, den Antisemiten aus Überzeugung, den<br />
Antibolschewisten aus Überzeugung usw., kann so, wie oft genug geschehen, relativ<br />
bequem aus dem Weg gegangen werden.<br />
4. Die geistige Lage im gegenwärtigen Deutschland (1947) 140<br />
In seinem 1947 geschriebenen Aufsatz gibt es einige bemerkenswerte Passagen zur<br />
Einschätzung der Lage mit noch bemerkenswerteren Schlussfolgerungen.<br />
1947 hat <strong>Nohl</strong> eine Rede vor Studenten über <strong>die</strong> damals aktuelle Lage gehalten. Dieses<br />
Dokument von <strong>Nohl</strong> ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Einer wirklichen Analyse<br />
der Verbrechen des <strong>NS</strong>-Systems <strong>und</strong> ihrer Auswirkungen auf <strong>die</strong> geistige Lage der<br />
Jugendlichen ist <strong>Nohl</strong> aus dem Weg gegangen:<br />
96<br />
„So schlug auch <strong>die</strong> große demokratische Welle, <strong>die</strong> wir nach dem ersten Weltkrieg<br />
hatten, in eine nationale um. Dem Nationalsozialismus gelang es damit, zum ersten<br />
Mal in Deutschland eine wirkliche Massenorganisation, <strong>die</strong> alle Schichten des Volkes<br />
umfasste, zu schaffen. Und auch heute ist das Gr<strong>und</strong>gefühl in den Massen <strong>und</strong><br />
insbesondere in der Jugend nicht primär das soziale, sondern das nationale.“ (<strong>Nohl</strong>:<br />
Gegenwärtiges Deutschland, 1947, S. 258)<br />
Nicht erwähnt wird hier, dass <strong>die</strong>se sogenannte „wirkliche Massenorganisation“, <strong>die</strong><br />
angeblich „alle Schichten des Volkes umfasste“, <strong>die</strong> jüdische Bevölkerung in Deutsch-<br />
land brutal ausgesondert, diskriminiert <strong>und</strong> keinesfalls „umfasst“ hat. Dass <strong>die</strong> Gefühle<br />
der Jugendlichen, <strong>die</strong> dem <strong>NS</strong>-System folgten, national gewesen sein sollen, stimmt nur<br />
in einem sehr eingeschränkten <strong>und</strong> begrenzten Sinne, da wesentlich für <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<br />
Ideologie <strong>die</strong> Nutzung nationaler Gefühle für imperialistische, überhebliche <strong>und</strong> kriege-<br />
rische Zielsetzungen war. Auch davon ist bei <strong>Nohl</strong> keine Rede. <strong>Nohl</strong> hat viel Verständnis<br />
für den Nationalismus nach 1945 <strong>und</strong> formuliert:<br />
„Wo der nationale Ton angeschlagen wird, nehmen sie [<strong>die</strong> jungen Menschen] ihn<br />
sofort begeistert auf, sie leiden unter dem ständigen Beschimpftwerden ihres Volkes<br />
<strong>und</strong> sind in ihrem innersten Selbstgefühl verletzt.“ (<strong>Nohl</strong>: Gegenwärtiges Deutschland,<br />
1947, S. 258)<br />
140 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die geistige Lage im gegenwärtigen Deutschland, in: Pädagogik aus dreißig Jahren,<br />
Frankfurt am Main 1949, S. 257–264. Zuerst abgedruckt in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong><br />
Erziehung, 2. Jg. (1947), Heft 11, S. 601–606.