Herman Nohl und die NS-Zeit
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III. Nach 1945<br />
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einseitig nach außen gewiesen, so wollen wir sie wieder nach innen lenken <strong>und</strong> zur<br />
Sammlung führen, aus der allein neue Kräfte kommen können. Wir wenden uns vor<br />
allem an <strong>die</strong> Lehrer, <strong>die</strong> heute eine Mission bekamen, wie zu keiner anderen <strong>Zeit</strong> in<br />
der Geschichte unserer Nation, <strong>und</strong> wollen ihnen <strong>die</strong> Mittel für <strong>die</strong> neue Arbeit bereitstellen,<br />
darüber hinaus aber alle Menschen sammeln, <strong>die</strong> guten Willens sind <strong>und</strong><br />
der gewaltlosen Macht des Geistes vertrauen.“ (<strong>Nohl</strong>: Geleitwort, 1945, S. 2)<br />
Analysiert man <strong>die</strong>se Zeilen, so sind folgende Gesichtspunkte festzuhalten: Erstens<br />
ergibt sich <strong>die</strong> Frage, wer „unser Volk“ ist. Der ganze Text, insbesondere <strong>die</strong> Passage,<br />
„dass auch uns einmal wieder <strong>die</strong> Sonne der Ehre <strong>und</strong> des Glücks scheinen werde“, geht<br />
nach wie vor von der Einheitlichkeit <strong>die</strong>ses deutschen Volkes aus. Es ist keinesfalls eine<br />
Spitzfindigkeit, hier <strong>die</strong> Fortsetzung der Idee der Volksgemeinschaft zu sehen <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
einfache Frage zu stellen, ob <strong>die</strong> Überlebenden des Völkermords, ob <strong>die</strong> Überlebenden<br />
des politischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus sich in solchen Formulierungen<br />
wiederfinden können oder nicht. Der „graue Morgen unserer Zukunft“ beschwört<br />
ebenfalls <strong>die</strong>ses falsche Wir-Gefühl <strong>und</strong> <strong>die</strong> Frage bleibt, ob der Morgen in<br />
seiner Färbung nicht doch recht verschieden ist, für <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Verbrecher einerseits <strong>und</strong><br />
für <strong>die</strong> Gegner, <strong>die</strong> Verfolgten des <strong>NS</strong>-Regimes andererseits. Jene im Widerstand, <strong>die</strong><br />
nicht nur vom „Kompass der einfachen Sittlichkeit“ redeten, wie <strong>die</strong> Geschwister<br />
Scholl, Adolf Reichwein <strong>und</strong> manche andere, können zu <strong>Nohl</strong> nicht mehr Stellung<br />
nehmen.<br />
Die Pointe <strong>die</strong>ses Absatzes mit seiner pathetisch-primitiven Inhaltsleere (selbst <strong>die</strong><br />
Phrase, dass <strong>die</strong> Lehrer wieder eine „Mission“ bekommen, durfte nicht fehlen) ist<br />
zweifellos <strong>die</strong> Art <strong>und</strong> Weise, wie der Rückblick ins Auge gefasst wird:<br />
„Der Rückblick auf <strong>die</strong> Vergangenheit wird sich nicht vermeiden lassen (…)“<br />
In <strong>die</strong>ser Formulierung schwingt einerseits eine Kritik an jenen <strong>Zeit</strong>genossen mit, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong>sen Rückblick überhaupt ablehnen. So weit, so gut. An sie wendet sich <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong><br />
versucht, <strong>die</strong>sen Rückblick als zwar unangenehm, aber unvermeidbar darzustellen, wie<br />
eine unangenehme Pflicht, eine lästige Notwendigkeit, <strong>die</strong> man hinter sich bringen<br />
muss:<br />
„(…) aber unser Wille ist entschlossen nach vorwärts gerichtet (…).“<br />
Noch ein Wort zu der „Mission der Lehrer“: 1932 hat <strong>Nohl</strong> ohne Not <strong>die</strong> Erzieher dazu<br />
aufgefordert, einen positiven Kern im Nationalsozialismus zu bejahen, statt <strong>die</strong> Situation<br />
demokratischer Verhältnisse in der Weimarer Republik zu nutzen, um mit pädagogi-