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Herman Nohl und die NS-Zeit

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II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

86<br />

„Er las, so lange ich denken kann, <strong>die</strong> Tägliche R<strong>und</strong>schau, <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>ung der nationalliberalen<br />

<strong>und</strong> alldeutschen Oberlehrer, war auch nicht ganz frei von ihrem Antisemitismus.<br />

Wenn eins der Kinder schrie, schob er den Kinderwagen unter dem Gesang<br />

‚Schmeißt ihn raus, den Juden Itzig‘ 123 ins andere Zimmer. Wollte er einen auf<br />

das Judentum des anderen aufmerksam machen, zog er <strong>die</strong> Nase an <strong>und</strong> krümmte<br />

den Zeigefinger. Wenn einer der Schüler bei der Aufnahme des Nationalen seine<br />

Religion mit ‚mosaisch‘ angab, dann verbesserte er ihn ‚also jüdisch‘. Aber das alles<br />

doch ohne Schärfe, wie er denn auch gegen meine jüdischen Fre<strong>und</strong>e immer fre<strong>und</strong>lich<br />

<strong>und</strong> gerecht blieb.“ 124<br />

Diese Passage <strong>Nohl</strong>s über seine „jüdischen Fre<strong>und</strong>e“ nach dem Pogrom vom<br />

9. November 1938 enthält einerseits eine klare Akzentsetzung gegen den aktuellen <strong>NS</strong>-<br />

Antisemitismus. Andererseits wird jedoch auch in bedrückender Weise sichtbar, mit<br />

welchem volksverhetzenden <strong>und</strong> diskriminierenden Alltagsantisemitismus <strong>die</strong> deutschnationalen<br />

Akademiker schon vor der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> teilweise sicher auch mehr unbewusst als<br />

bewusst operierten. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> selbst hätte nach 1938 eine Ahnung haben können<br />

<strong>und</strong> eine Gewissheit haben müssen, dass <strong>die</strong>se pseudohumoristische Verächtlichmachung,<br />

so harmlos sie im Alltag zu sein schien, schließlich in blutigen <strong>und</strong> mörderischen<br />

Pogromen vor aller Welt einen vorläufigen Höhepunkt fand.<br />

Die in <strong>die</strong>sen beiden Aufsätzen veröffentlichten Einschätzungen <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s zu<br />

seiner Familie spielen auch in der Sek<strong>und</strong>ärliteratur eine gewisse Rolle <strong>und</strong> erhellen<br />

auch jene Fragen, <strong>die</strong> insbesondere im Zusammenhang mit den im Anhang der Dokumentation<br />

ad fontes <strong>Nohl</strong> abgedruckten Archivdokumenten knapp vorgestellt werden<br />

sollen.<br />

123 Diese Textzeile stammt wohl aus der <strong>Zeit</strong>spanne antisemitischer Agitation um 1880 (siehe dazu:<br />

Hoffmann, Gerd: Der Prozess um den Brand der Synagoge in Neustettin. Antisemitismus in Deutschland<br />

ausgangs des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Schifferstadt 1998), lässt sich aber auch in der „Kaperle“-Geschichte<br />

„Kasper <strong>und</strong> Abraham“ nachweisen, <strong>die</strong> im Ersten Weltkrieg im von Johannes Rabe herausgegebenen<br />

Sammelband „Sünd ji all dor? Althamburgische Kasperszenen“ (Hamburg 1915) erschien. In <strong>die</strong>sem<br />

antisemitischen Kinderstück erschlägt der „lustige“ Kasperle den Juden Abraham. Die Leiche wird mit<br />

dem Gesang „Schmeißt ihn raus, dem Juden Itzig“ beseitigt (Rabe 1915, S. 49). Das Lied, dann mit<br />

Noten, taucht auch in einem weiteren Sammelband von Rabe auf (Vivat Putschenelle! Alte Kasperschwänke,<br />

Hamburg 1916) auf. Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Matthias Heyl kommentierte:<br />

„Hier wurde der Judenmord gleichsam als Kinderspiel vorgeführt <strong>und</strong> eingeübt“ (Presseinformation der<br />

Forschungs- <strong>und</strong> Arbeitstelle „Erziehung nach / über Auschwitz“ vom 21.5.2001, zitiert nach:<br />

http://www.fasena.de/archiv/presse.htm, eingesehen am 16.4.2008).<br />

124 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Mein Vater, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong> (Hrsg.): <strong>Herman</strong>n <strong>Nohl</strong> 1850–1929 <strong>und</strong> <strong>die</strong> Geschichte<br />

seiner Familie. Erinnerungen für seine Enkel, als Manuskript gedruckt, ohne Ort 1940, S. 49 f.

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