Herman Nohl und die NS-Zeit
Herman Nohl und die NS-Zeit
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IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />
zumal gleichzeitig mit <strong>die</strong>ser Methode <strong>und</strong> in <strong>die</strong>sem Kanon auch Paul Oestreich <strong>und</strong><br />
Siegfried Bernfeld mit „isolierendem Effekt“ ausgegrenzt wurden.<br />
Scheuerl kritisiert <strong>die</strong> Vorstellung, dass Jugendbewegung <strong>und</strong> Hitlerjugend wie Feuer<br />
<strong>und</strong> Wasser gewesen seien, wie Heinrich Roth behauptete (Scheuerl 1985, S. 133). Er<br />
polemisiert gegen <strong>die</strong>se Vorstellung einer „bösartigen Unterbrechung der deutschen<br />
Geschichte“ (Scheuerl 1985, S. 134), erinnert an Adornos Appell von 1959, dass alles<br />
getan werden müsse, damit Auschwitz sich nicht wiederhole, um dann den Akzent<br />
seiner Polemik gegen jene zu wenden, <strong>die</strong> nur <strong>die</strong> Kontinuität sehen: „Die ganze<br />
Reformpädagogik, zumindest <strong>die</strong> deutsche, kam auf <strong>die</strong> Anklagebank <strong>und</strong> wurde<br />
obsolet.“ (Scheuerl 1985, S. 135) In einer dritten Phase sieht Scheuerl jedoch <strong>die</strong><br />
Möglichkeit, mit „zunehmender Differenzierung der Quellenkenntnis zu präziseren<br />
Diagnosen zu kommen“ (Scheuerl 1985, S. 136).<br />
Scheuerl, der auch auf Blankertz „Geschichte der Pädagogik“ eingeht, liefert leider<br />
einen rechnerischen Schluss, der von einem großen Unverständnis des Ausmaßes der<br />
Verbrechen der <strong>NS</strong>-Erziehung zeugt. Er fragt: „Was hat sich unter dem Konglomerat<br />
‚nationalsozialistische Erziehung‘ im Erziehungsleben unseres Jahrh<strong>und</strong>erts nun<br />
wirklich verändert?“ Scheuerl rechnet vor, dass von den zwölf Jahren des „Dritten<br />
Reichs“ allein fünfeinhalb in den Krieg gefallen sind, so dass ja nur sechseinhalb Jahre<br />
für Umorientierung, neue Strukturen <strong>und</strong> längerfristige Planungen geblieben seien. Und<br />
er bemerkt mathematisch korrekt: „Sechseinhalb Jahre in einem Jahrh<strong>und</strong>ert!“ Er<br />
beendet den Abschnitt damit, dass entgegen der <strong>NS</strong>-Pädagogik doch schließlich eine<br />
„skeptische Generation“ entstanden sei (Scheuerl 1985, S. 137). Mit <strong>die</strong>ser Gr<strong>und</strong>position<br />
ist eine wirkliche Vertiefung der Zusammenhänge zwischen <strong>Nohl</strong>scher Geisteswissenschaft<br />
<strong>und</strong> der <strong>NS</strong>-Erziehungswirklichkeit 1933–1945 nicht zu erwarten.<br />
Bei der Durchsicht der verschiedenen Auflagen der „Geschichte der Erziehung“, <strong>die</strong> in<br />
der DDR unter der Leitung von Karl-Heinz Günther erschien, ergab sich folgendes<br />
Bild: In der letzten erschienenen Auflage 1988208 heißt es über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, er „prägte<br />
den Begriff der ‚Deutschen Bewegung‘ <strong>und</strong> verstand darunter ein ‚Lebenssystem‘, das<br />
alle Seiten der geistigen Welt entwickelte, eine neue Kunst zunächst <strong>und</strong> eine neue<br />
Ästhetik, dann eine neue Ethik, eine neue Religiosität, eine neue Natur- <strong>und</strong> Geisteswis-<br />
208 Günther, Karl-Heinz/Hofmann, Franz u. a. (Red.): Geschichte der Erziehung, 16. Auflage (durchgesehener<br />
Nachdruck der in Neufassung erschienenen 14. Auflage), Berlin 1988.<br />
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