Herman Nohl und die NS-Zeit
Herman Nohl und die NS-Zeit
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I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />
In <strong>die</strong>ser Schrift folgt <strong>Nohl</strong>, wie er in der Einleitung erklärt, seinem akademischen<br />
Lehrer Dilthey bei der Entwicklung der These, dass <strong>die</strong> naturwissenschaftliche Psychologie<br />
das Äußere erklären könne, während es in der geisteswissenschaftlichen Psychologie<br />
darum gehe, das Innere zu verstehen. Dabei zählt <strong>Nohl</strong> als Hilfsmöglichkeit auch<br />
„Erblehre, Rassenk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Soziologie“ auf. Dieses Werk ist also aus der Perspektive<br />
der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> zu lesen.<br />
Für <strong>die</strong> erbbiologischen <strong>und</strong> rassek<strong>und</strong>lichen Arbeiten der Menschenk<strong>und</strong>e bezieht sich<br />
<strong>Nohl</strong> auf <strong>die</strong> Rassentheoretiker Verschuer, Günther <strong>und</strong> Pfahler (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong><br />
Schicksal, 1938, S. 20). Die Gr<strong>und</strong>fragen nach Anlage, Vererbung, Umwelteinfluss <strong>und</strong><br />
pädagogische Bildsamkeit werden von <strong>Nohl</strong> mit der Methodik der Polarität, mit der<br />
Methodik des „Sowohl-als-auch“ Kapitel für Kapitel entwickelt. Die von <strong>Nohl</strong> so<br />
bezeichnete „Menschenk<strong>und</strong>e“ von Platon bis Jesus („Deine Sünden sind dir vergeben“;<br />
<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 19), Rousseau <strong>und</strong> eine ganze Liste großer<br />
Namen begleiten <strong>die</strong> Leserschaft bei der Lektüre.<br />
Ausgangspunkt ist das polare „Von unten <strong>und</strong> von oben“-Sehen. Mit „von unten“ meint<br />
<strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> Sichtweise vom Einzelnen aus, mit „von oben“ ist <strong>die</strong> Sichtweise von den<br />
Idealen oder Normen der Gesellschaft ausgehend gemeint, <strong>die</strong> „untrennbar mit dem<br />
Mythos des Volkes verb<strong>und</strong>en“ sind (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 26). Der<br />
„Mythos des Volkes“ gibt von Anfang bis Ende den irrationalen Gr<strong>und</strong>tenor von<br />
„Charakter <strong>und</strong> Schicksal“ vor.<br />
Über <strong>die</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> veröffentlichten Gr<strong>und</strong>schriften <strong>Nohl</strong>s heißt es bei Klafki <strong>und</strong> Brockmann in ihrer<br />
Schrift „Geisteswissenschaftliche Pädagogik <strong>und</strong> Nationalsozialismus. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> seine ‚Göttinger<br />
Schule‘ 1932–1937“ (Weinheim/Basel 2002): „Soweit es sich um Werke handelt, <strong>die</strong> vor 1945 publiziert<br />
wurden, sind sie nach der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> unverändert oder erweitert wieder aufgelegt worden. Ausdrückliche<br />
Bezüge auf den Nationalsozialismus tauchen in <strong>die</strong>sen Büchern nicht auf“ (Klafki/Brockmann, S. 311,<br />
Hervorhebung im Original).<br />
Ähnlich heißt es bei Matthes, <strong>Nohl</strong>s Aussagen über Rassenunterschiede fehlten „völlig <strong>die</strong> rassistische<br />
Ausrichtung der damals herrschenden Ideologie, so dass <strong>die</strong>se Ausführungen von <strong>Nohl</strong> auch unverändert<br />
in <strong>die</strong> von der amerikanischen Militärregierung zugelassenen 3. Auflage v. 1947 übernommen werden<br />
konnten“ (Geisteswissenschaftliche Pädagogik nach der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>. Politische <strong>und</strong> pädagogische Verarbeitungsversuche,<br />
Bad Heilbrunn 1998, S. 69). An <strong>die</strong> Stelle wissenschaftlicher Auseinandersetzung tritt hier<br />
<strong>die</strong> Obrigkeitsgläubigkeit gegenüber den amerikanischen Zensurbehörden von 1947, denen nachweisbar<br />
noch viel härtere Passagen als <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong>s bewusst oder unbewusst entgangen sind. Zudem fehlt hier bei<br />
Matthes <strong>die</strong> wissenschaftliche Genauigkeit <strong>und</strong> Gründlichkeit: Gerade Passagen in „Charakter <strong>und</strong><br />
Schicksal“, insbesondere auch das Foto mit Hakenkreuzfahne <strong>und</strong> HJ wurden sehr wohl entfernt, bzw.<br />
verändert. Das beweist <strong>die</strong> „Autopsie“ <strong>und</strong> <strong>die</strong> Synopse der Ausgabe von 1938 im Vergleich mit der<br />
Ausgabe 1947.<br />
37 1. Auflage 1938, bzw. 2. Auflage 1940, jeweils nach S. 160.<br />
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