Herman Nohl und die NS-Zeit
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III. Nach 1945<br />
Vorstellung eines „jahrtausendalten Kampfes“ enthalten, eine Phrase des deutschen<br />
Nationalismus, mit der alle geschichtlichen Großereignisse als Vorläufer des Zweiten<br />
Weltkriegs eingeordnet werden: <strong>die</strong> Kreuzzüge <strong>und</strong> <strong>die</strong> Bauernkriege, der Dreißigjähri-<br />
ge Krieg <strong>und</strong> <strong>die</strong> Revolution von 1848, der deutsch-französischen Krieg von 1871 <strong>und</strong><br />
der Erste Weltkrieg. 138<br />
<strong>Nohl</strong>, der angesichts der Gräuel in den KZs, <strong>die</strong> er kurz anschneidet, sagt, dass <strong>die</strong><br />
„satanische Führung der Partei“ <strong>die</strong> „Ehre unseres Volkes“ beschmutzt habe, <strong>und</strong> als<br />
Nationalist von „dem heißen Schmerz über das, was jetzt den deutschen Menschen<br />
geschieht“, spricht (vom Schmerz über das, was nichtdeutschen Menschen <strong>und</strong> den vom<br />
<strong>NS</strong>-Regime verfolgten deutschen Menschen angetan wurde, ist bei <strong>Nohl</strong> nicht <strong>die</strong><br />
Rede). Dennoch stellt <strong>Nohl</strong> zu <strong>die</strong>sem <strong>Zeit</strong>punkt 1946 noch <strong>die</strong> völlig richtige Frage:<br />
94<br />
„Wenn man nun aber fragt, wie war es überhaupt möglich, dass es so weit bei uns<br />
kommen konnte, dann wird sichtbar, dass der Nationalsozialismus mit seinen Methoden<br />
doch nur eine letzte entsetzliche Folge einer längeren geschichtlichen Entwicklung<br />
ist, in der wir alle mehr oder minder mitgemacht haben, ohne zu ahnen, wohin<br />
der Weg führte. Diese Entwicklung hier heute darzustellen, würde zu weit führen, ich<br />
will in <strong>die</strong>ser St<strong>und</strong>e nur von der falschen Idealbildung sprechen, <strong>die</strong> wir uns angewöhnt<br />
hatten <strong>und</strong> ihren sittlichen Konsequenzen, deren Extrem der Nationalsozialismus<br />
dann brachte.“ (<strong>Nohl</strong>: Hildesheimer Manuskript, 1946, S. 186)<br />
Immerhin, so führt Blochmann an, war <strong>Nohl</strong> bewusst, dass an <strong>die</strong>ser vorbereitenden<br />
Entwicklung <strong>die</strong> „nationale Bewegung seit Fichte bis Lagarde, der Machtstaat seit<br />
Hegel <strong>und</strong> Bismarck“ (<strong>Nohl</strong>: Hildesheimer Manuskript, 1946, S. 186) beteiligt waren.<br />
Dies alles jedoch, so Blochmann, führt bei <strong>Nohl</strong> dazu, programmatisch einen „höheren<br />
Nationalismus“ auf der Basis der Sorge „für <strong>die</strong> Volksges<strong>und</strong>heit, der Heimatliebe <strong>und</strong><br />
des Sinnes für <strong>die</strong> Muttersprache“ (<strong>Nohl</strong>: Hildesheimer Manuskript, 1946, S. 187) zu<br />
fordern.<br />
Da <strong>Nohl</strong>s Manuskript nicht vollständig vorliegt, ist es nicht möglich, zu einer Gesamteinschätzung<br />
zu kommen, aber es könnte immerhin auch gute Gründe geben – in <strong>die</strong><br />
eine oder in <strong>die</strong> andere Richtung –, warum <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong>ses Manuskript nicht in später<br />
erschienene Sammelbände aufgenommen hat.<br />
138 Ausgesprochen unangenehm berührt in der Darstellung <strong>Nohl</strong>s das jammernde, völlig überzogene <strong>und</strong><br />
unrealistische Bild der Lage. Warum ist ein Volk „zerbrochen, dem sein Machtwille genommen ist“?<br />
Auch <strong>die</strong> Metapher „Deutschland ist wie ausgebrannte Asche“ ist nicht nur völlig unangebracht, sondern<br />
angesichts der Millionen verbrannten Leichen in den Vernichtungslagern ausgesprochen absurd. Wahr ist<br />
gewiss, dass es einen moralischen Trümmerhaufen gab, vor dem nicht nur <strong>die</strong> Intellektuellen standen,<br />
sondern den gerade jene Intellektuelle, <strong>die</strong> am <strong>NS</strong>-System mitgearbeitet hatten, selbst repräsentierten.