Herman Nohl und die NS-Zeit
Herman Nohl und die NS-Zeit
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II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />
In <strong>die</strong>sem Satz vollzieht <strong>Nohl</strong> mehrere Manöver. Durch den – nicht ganz falschen –<br />
Hinweis auf Platons Ideen einer biologistischen Aufzucht einschließlich der Aussetzung<br />
behinderter Kinder (an einem „unzugänglichen <strong>und</strong> unbekannten Ort“) in dessen Schrift<br />
„Politeia“ 90 adelt er das Neue an der Nationalerziehung, eben das Nationalsozialistische.<br />
Gleichzeitig verweist er darauf, dass das Neue damit eigentlich auch doch nicht so neu<br />
ist, lediglich als eine Art Neoplatonismus wiederbelebt wird.<br />
Abgesehen davon, dass es Platon nicht um eine Rassentheorie <strong>und</strong> schon gar nicht um<br />
das Konstrukt einer „arischen Rasse“ ging, sondern um <strong>die</strong> inhumane Tötung der<br />
Behinderten, zeigt sich bei <strong>Nohl</strong> auch eine Unkenntnis gegenüber dem rassistischen<br />
Diskurs im Rahmen der sogenannten Reformpädagogik, insbesondere bezogen auf <strong>die</strong><br />
an Nietzsche orientierten Zuchtgedanken in Ellen Keys Buch „Das Jahrh<strong>und</strong>ert des<br />
Kindes“ (in deutscher Sprache 1902). Darin wird gefordert, dass unter ärztlicher Auf-<br />
sicht – ebenfalls an Platon orientiert – missgebildete Kinder „erlöst“ werden sollen. 91<br />
Dass <strong>Nohl</strong> – an der Sozialpädagogik orientiert – selbst „neu“ zu <strong>die</strong>sem Thema Stellung<br />
nimmt, soll jedoch konstatiert werden. Bevor er sich zur Eugenik äußert, beschreibt<br />
<strong>Nohl</strong> drei „Erfahrungen“ als Gefahren für <strong>die</strong> „Volkssubstanz“: <strong>die</strong> „Abnahme der<br />
Fruchtbarkeit“, <strong>die</strong> „Qualitäten der Geburten“ <strong>und</strong> <strong>die</strong> „gesteigerten Einwanderungen<br />
aus dem Osten“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 11).<br />
„Allein in Berlin 4.000 zugewanderte Juden“<br />
Das <strong>NS</strong>-Regime hatte bereits seine ersten antisemitischen staatlichen Maßnahmen<br />
getroffen, <strong>die</strong> Universitäten von jüdischen Professoren gesäubert <strong>und</strong> den Boykott<br />
jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 durchgeführt, <strong>und</strong> nun schreibt <strong>Nohl</strong>:<br />
90 Siehe dazu den Abschnitt über Platon bei: Mürner, Christian: Philosophische Bedrohungen. Kommentare<br />
zur Bewertung der Behinderung, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1995, S. 26–<br />
31.<br />
91 „Im Zusammenhang hiermit steht <strong>die</strong> Entwicklung neuer Rechtsbegriffe auf <strong>die</strong>sen Gebieten. Während<br />
<strong>die</strong> heidnische Gesellschaft in ihrer Härte <strong>die</strong> schwachen oder verkrüppelten Kinder aussetzte, ist <strong>die</strong><br />
christliche Gesellschaft in der ‚Milde‘ so weit gegangen, dass sie das Leben des psychisch <strong>und</strong> physisch<br />
unheilbar kranken <strong>und</strong> missgestalteten Kindes zur stündlichen Qual für das Kind selbst <strong>und</strong> seine<br />
Umgebung verlängert. Noch ist doch in der Gesellschaft – <strong>die</strong> unter anderem <strong>die</strong> Todesstrafe <strong>und</strong> den<br />
Krieg aufrecht erhält – <strong>die</strong> Ehrfurcht vor dem Leben nicht groß genug, als dass man ohne Gefahr das<br />
Verlöschen eines solchen Lebens gestatten könnte. Erst wenn ausschließlich <strong>die</strong> Barmherzigkeit den Tod<br />
gibt, wird <strong>die</strong> Humanität der Zukunft sich darin zeigen können, dass der Arzt unter Kontrolle <strong>und</strong><br />
Verantwortung schmerzlos ein solches Leiden auslöscht.“ (Key, Ellen Karolina Sofia: Das Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
des Kindes. Stu<strong>die</strong>n, Weinheim/Basel 1992, S. 28 f.)<br />
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