Herman Nohl und die NS-Zeit
Herman Nohl und die NS-Zeit
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I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />
Diese Widersprüchlichkeit gilt es bei <strong>Nohl</strong> festzuhalten <strong>und</strong> sie ist weder durch allge-<br />
mein gehaltene Kontinuitätsthesen noch Diskontinuitätsthesen wegzuoperieren. 31<br />
2. Die ästhetische Wirklichkeit (1935) 32<br />
Die als Einführung bezeichnete Schrift erschien erstmals 1935. Ausgehend von einer<br />
Vorstellung ästhetischer Begriffe entwickelt <strong>Nohl</strong> in <strong>die</strong>sem 214 Seiten umfassenden<br />
Buch, an Kant, Goethe <strong>und</strong> Schiller anknüpfend, <strong>die</strong> „Ästhetik der Unendlichkeit“<br />
(<strong>Nohl</strong>: Ästhetische Wirklichkeit, 1935, S. 131) <strong>und</strong> endet, sich auf Nietzsche berufend,<br />
mit einem Abschnitt namens „Der neue künstlerische Mut. Stil als Einheit in allen<br />
Lebensäußerungen eines Volkes“. In <strong>die</strong>sem letzten Abschnitt, unvermeidlich Wilhelm<br />
Dilthey referierend, lässt <strong>Nohl</strong> das Werk in Anlehnung an Langbehn <strong>und</strong> Lichtwark in<br />
Zuspitzung auf <strong>die</strong> „Nationale Form“ ausklingen.<br />
<strong>Nohl</strong> endet mit seiner Darstellung der „Überzeugung aller starken Künstler“, <strong>die</strong><br />
„volksmäßig geb<strong>und</strong>en“ seien (<strong>Nohl</strong>: Ästhetische Wirklichkeit, 1935, S. 215). Kernpunkt<br />
eines Kunstwerks ist nach <strong>Nohl</strong>, dass ihm<br />
„eine ges<strong>und</strong>e typische nationale Form zugr<strong>und</strong>e liegt. Dann ist Kunst nicht mehr<br />
ein Element der Trennung, sondern der Verbindung, nicht mehr eine rätselhafte Sache<br />
für Ästheten, sondern Ausdruck eines Ideals, das alle verstehn <strong>und</strong> das einem<br />
Volk sagt, was es will, weil in ihm das dunkle Gefühl, der unbestimmte Trieb des<br />
Volkes Form <strong>und</strong> Gestalt annahm.“ (<strong>Nohl</strong>: Ästhetische Wirklichkeit, 1935, S. 215 f.)<br />
So endet <strong>die</strong>ses Buch über „Die ästhetische Wirklichkeit“ in trivialen <strong>und</strong> populisti-<br />
schen Definitionen der Kunst als Formung des unbestimmten Triebes des Volkes.<br />
Da Ästhetik in geisteswissenschaftlicher Hinsicht an Kant anknüpfend ja im „Unendli-<br />
chen“ <strong>und</strong> „Erhabenen“ <strong>und</strong> damit letztlich im Religiös-Irrationalen endet, bietet <strong>die</strong>se<br />
Schrift <strong>Nohl</strong>s – wenn sie im Detail, im Kontext seiner Einführung in <strong>die</strong> Geschichte der<br />
Philosophie analysiert werden würde – umfassendes Material, um in <strong>die</strong> Feinheiten<br />
<strong>Nohl</strong>’scher Irrationalität eindringen zu können. Die Wirkungsgeschichte <strong>die</strong>ses Buches<br />
endet offensichtlich mit der vierten Auflage 1973.<br />
31 Das 1935 verfasste Vor- <strong>und</strong> Nachwort <strong>die</strong>ser Schrift aus der 2. Auflage (Frankfurt am Main 1935)<br />
spiegelt <strong>die</strong>ses Dilemma einer massiven Unterstützung der <strong>NS</strong>-Politik <strong>und</strong> <strong>NS</strong>-Pädagogik bei gleichzeitigem<br />
Festhalten an einer harmonisierenden Zusammenfassung der deutschen Geistesgeschichte als<br />
„deutscher Bewegung“ wider. Dieses Dilemma zeigt sich, sogar noch verstärkt, vor allem im Vorlesungsmanuskript<br />
1933/34 <strong>und</strong> in seiner 1938 erschienenen Schrift „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“.<br />
32 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die ästhetische Wirklichkeit. Eine Einführung, Frankfurt am Main 1935.<br />
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