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Herman Nohl und die NS-Zeit

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II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

„Die dritte Erfahrung entstand aus der gesteigerten Einwanderung aus dem Osten,<br />

<strong>die</strong> vor allem Berlin ein ganz neues Gesicht gab. Frick teilt in seiner Ansprache auf<br />

der ersten Sitzung des Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs- <strong>und</strong> Rassenpolitik<br />

mit, dass im Jahre 1930 allein in Berlin 4.000 zugewanderte Juden eingebürgert<br />

wurden.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 11) 92<br />

Ohne Frage verbreitet <strong>Nohl</strong> mit <strong>die</strong>sem Gesichtspunkt jenen Antisemitismus gegen <strong>die</strong><br />

„Ostjuden“ (wie es damals hieß), der einen vorrangigen Aspekt der <strong>NS</strong>-Propaganda seit<br />

1923 bildete, aber sehr wohl schon in der Weimarer Republik auch weit hinein ins<br />

deutschnationale Lager salonfähig war. Nach der Klarstellung, dass es gegen Juden<br />

geht, referiert <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> Vorgeschichte des <strong>NS</strong>-Rassismus ohne jede kritische Distanz im<br />

Kontext einer zustimmenden Vertiefung, um so seine studentische Zuhörerschaft an <strong>die</strong><br />

entsprechende Literatur heranzuführen. <strong>Nohl</strong> führt in einer längeren Passage im unmit-<br />

telbaren Anschluss aus:<br />

„Wie immer entwickelt sich ein solcher neuer Gesichtspunkt zu voller Kraft aber<br />

erst, wo er sich dialektisch gegen eine andere einseitige Theorie absetzt, hier also<br />

gegenüber dem alten Sozialismus, der bei aller sozialen Leidenschaft, <strong>die</strong> ihn in seinen<br />

besten Vertretern beseelte, letztlich immer doch nur an das Wohlsein des Einzelnen<br />

dachte <strong>und</strong> einem falschen Gleichheitsgedanken huldigte, der <strong>die</strong> Schuld an dem<br />

Aufstieg oder Abstieg des Einzelnen ausschließlich im Milieu <strong>und</strong> den Startbedingungen<br />

suchte. Diesem Individualismus <strong>und</strong> Kultur-Lamarckismus gegenüber bildete<br />

sich jetzt <strong>die</strong> neue Front der Eugenik <strong>und</strong> der Rassenhygiene, <strong>die</strong> vom Ganzen des<br />

nationalen Volkskörpers ausgeht <strong>und</strong> hinter den einzelnen Lebenden das Idioplasma<br />

sucht, aus dem <strong>die</strong> künftigen Generationen durch Auslese entstehen sollen. Die Mittel<br />

für <strong>die</strong>se ganz andere Sehweise kamen aus sehr verschiedenen Quellen: aus der Biologie,<br />

der konservativen Familienk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> der Rassenk<strong>und</strong>e Gobineaus <strong>und</strong> seiner<br />

Nachfolger. Die wichtigste war <strong>die</strong> Eugenik, wie sie Francis Galton, der Vetter Darwins,<br />

1865 mit einer Arbeit über ‚Erblichkeit von Talent <strong>und</strong> Charakter‘ <strong>und</strong> dann in<br />

weiteren Arbeiten über ‚Erblichkeit des Genies‘ 1869 ausgebaut hatte. Seine berühmt<br />

gewordene Vorlesung über ‚Eugenik‘ hielt er als alter Mann 1904. Eugenik<br />

war ihm <strong>die</strong> Lehre von allen Einflüssen, <strong>die</strong> geeignet sind, <strong>die</strong> angeborenen Eigenschaften,<br />

also das ‚Erbgefüge‘ einer Rasse zu verbessern <strong>und</strong> sie zu höchster Vollkommenheit<br />

zu entwickeln. Eugenes d. h. wohlgeboren ist derjenige, der noble Qualitäten<br />

geerbt hat. ‚Rasse‘ meint bei Galton nicht <strong>die</strong> anthropologische Rasse, also<br />

eine größere Gruppe von Menschen mit gleichen Erbanlagen, sondern eine solche<br />

Gruppe unter dem Gesichtspunkt des Erbgefüges ohne Rücksicht darauf, ob <strong>die</strong> Anlagen<br />

gleich oder ungleich sind. Wertvoll ist jede Erbanlage, <strong>die</strong> sich in der Gesamtökonomie<br />

eines Volkes als nützlich erweist. Jede Berufsgruppe des Volkes braucht<br />

ihre eigene Eignung.<br />

Unabhängig von Galton hatten in Deutschland Alfred Ploetz <strong>und</strong> Wilhelm Schallmayer<br />

<strong>die</strong> Eugenik entwickelt. Diese sprechen beide von ‚Rassenhygiene‘, wobei<br />

Rassenhygiene im bewussten Unterschied von Sozialhygiene eben nicht das Wohl der<br />

92 <strong>Nohl</strong> gibt als Quelle in einer Fußnote lediglich „Langensalza 1933“ an.<br />

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