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theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

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<strong>und</strong> einst »herrschaftlichen« Mietshäusern, – die aber dann immer kleinbürgerlicher<br />

wurden, <strong>und</strong> in denen sich das Leben je<strong>des</strong> Einzelnen vor den Augen aller abspielte.<br />

Kesser bringt es fertig, »alle«, die ganze Straße, mitspielen zu lassen; er ist der erste<br />

virtuose Hörspielhandwerker, der wagt, was er in einem Vorvermerk seines Stücks<br />

»Massenszenen« nennt. Natürlich handelt es sich nicht um wirkliche Massen, deren<br />

Verwendung im Hörspiel sinnlos wäre. »Es gibt Millionen Stimmen <strong>und</strong> Masken«, sagt<br />

Kesser <strong>und</strong> handhabt dann elegant die Kunst, mit einem Konzert von einem Halbdutzend<br />

individueller Hysterikerstimmen, die er durch das, was er sie sprechen läßt, zu Typen <strong>und</strong><br />

»Masken« macht, anonyme, sozial charakteristische Situationen zu zeichnen – mit<br />

»Treppenhausstimmen« Treppenhaussituationen, mit »Passantenstimmen«<br />

Passantensituationen, mit »Stimmen am Fenster« Situationen in jener nächtlichen,<br />

verschneiten Straße, in der sich unter den Augen von h<strong>und</strong>ert nachthemdbekleideten<br />

Neugierigen die Katastrophe eines Schicksals vollzieht: der Zusammenbruch der<br />

Hauptfigur, <strong>des</strong> Schiebers, von dem sich herausstellt, daß auch er ein gejagter <strong>und</strong><br />

verängstigter Mensch ist, den man für einen Augenblick sogar bemitleidet.<br />

Kessers Straßenmann ist – auch darin dem Alexanderplatz-Hörspiel ähnlich -, wie sein<br />

anderes Hörspiel Schwester Henriette, ursprünglich als Prosaarbeit niedergeschrieben.<br />

Alle drei Werke sind aber im Zusammenhang einer geschichtlichen Darstellung als<br />

Hörspiele anzusprechen. Kessers Arbeiten wurden auch damals vor allem als Hörspiele<br />

diskutiert, weil sie die junge Kunstform erheblich bereichert haben. Im Straßenmann sind<br />

besonders die Gruppen typisierter Stimmen als überzeugende neue Möglichkeit<br />

empf<strong>und</strong>en worden. Fragwürdig an dem Stück – vielleicht als ein Relikt der Erzählfassung<br />

zu verstehen – ist nur die »Stimme <strong>des</strong> Autors«, die den breitesten Raum in Anspruch<br />

nimmt. Es handelt sich um eine Art Reporterstimme, die in einer hektisch-direkten<br />

Präsensform mit geradezu maschineller Unermüdlichkeit berichtet, was vorgeht. Der<br />

Autor, wenn er diese »Stimme« selbst hätte sprechen müssen, hätte wohl kaum den Atem<br />

gehabt, ihre überdramatisierte Erregung mehr als eine St<strong>und</strong>e lang durchzuspielen. Alfred<br />

Braun, damals in Berlin nicht nur Erster Regisseur, sondern auch Erster Reporter,<br />

vollbrachte dank <strong>seiner</strong> geradezu explosiven Vitalität das Kunststück leicht. Als dreißig<br />

Jahre später im Hamburger Dritten Programm ein Plattensatz von 1930 wiederholt wurde,<br />

von dem die letzten beiden Platten, die letzten sieben Minuten, fehlten, <strong>und</strong> als der<br />

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