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theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

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Kintopp-Methoden, in denen immerfort Wirklichkeitsgehalt <strong>und</strong> Realismus verwechselt<br />

werden, sind im Hörspiel absolut tödlich. Läßt ein Autor da, um einer falschen Vorstellung<br />

von »Natürlichkeit« zu genügen, ungestalt Jargon reden, so zerstört er der Sprache<br />

zugleich die Möglichkeit, auf die es allein ankommt: zu imaginieren <strong>und</strong> Erzeugerin von<br />

innerer Wirklichkeit zu sein. Das Wort <strong>und</strong> die Hörspielform, die aus dem Wort lebt,<br />

werden damit um ihre Kraft gebracht.<br />

Was gemeint ist, zeigt mit schöner Schlichtheit ein Hörspiel, das ich trotz – teils<br />

genauerer, teils oberflächlicherer – Kenntnis einer kanadischen, einer italienischen <strong>und</strong><br />

einer französischen Passionsspielserie (die alle den Sayers-Fehler begehen) für die<br />

bisher einzig diskutable Hörspieldarstellung der Passion halte. Ich meine Charles Dimonts<br />

<strong>und</strong> Ernst Schnabels Karfreitag, das eine Zeitlang alljährlich gesendet wurde <strong>und</strong> das von<br />

<strong>seiner</strong> un<strong>mittel</strong>baren Wirkung – obwohl es gerade nicht gewaltsam un<strong>mittel</strong>bar sein will –<br />

dennoch nichts eingebüßt hat.<br />

Dimont, nach dem Krieg englischer Besatzungssoldat in Deutschland, ist sonst als<br />

Schriftsteller, auch in <strong>seiner</strong> Heimat, nicht sonderlich bekannt. Zwei weitere Hörspiele von<br />

ihm, die wir um dieses einen willen übersetzen ließen – Das Reich <strong>und</strong> die Macht <strong>und</strong> Die<br />

Wahrheit auf Erden –, sind <strong>mittel</strong>mäßig. Aber auch dieses erste verdankt seine Wirkung<br />

vorwiegend dem deutschen Text Schnabels, ist durch Schnabel ein Bestandteil der<br />

deutschen Hörspielliteratur geworden, während es in England unbekannt blieb. Man darf<br />

dennoch nicht vergessen, daß der Kern <strong>des</strong> Stücks die poetische Vision eines<br />

Besatzungssoldaten ist: Dimont empfand, daß die Relation zwischen dem reibungslosen<br />

Funktionieren der militärischen Machtbürokratie im besetzten Land <strong>und</strong> der hungrig-<br />

hohläugigen Widerspruchslosigkeit <strong>des</strong> besetzten Volkes genau jenen Zustand der totalen<br />

Kontaktlosigkeit aller Menschen untereinander ausdrückt, in dem auch für Gott nur noch<br />

der Weg von der Krippe zum Kreuz übrig bleibt. Wahrscheinlich litt Dimont die wartende<br />

Aufgeschlossenheit <strong>des</strong> Volkes mit, aus der dann schlechterdings nichts entstand. Freilich<br />

wurden viele Kinder im Elend geboren, auch viele Menschen hingerichtet, aber Gott war<br />

nicht dabei.<br />

Vom Hochkommissar Pontius Pilatus angefangen bis herab zum machtlosen<br />

»Befehlsempfänger« spielt die Apparatur mit jener mürrisch-gelangweilten<br />

Gleichgültigkeit, die in allen Heeren der Welt die normale Stimmung zu sein pflegt.<br />

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