05.02.2013 Aufrufe

theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Das Urepische, das den direkten Weg vom fabulierenden M<strong>und</strong> zum geneigten Ohr<br />

niemals verleugnet, beruht auf jener improvisatorischen Un<strong>mittel</strong>barkeit, der es nicht um<br />

nachgeschaffene Realität geht (min<strong>des</strong>tens nicht in den Einzelheiten), sondern um eine<br />

schöpferische Ausdrucks- <strong>und</strong> Phantasiewelt – weshalb der Schaffende, der Erzählende<br />

sich niemals aus <strong>seiner</strong> Erzählung zurückziehen kann. Er beginnt: »Ich hörte das sagen ...<br />

«, oder er ruft die Götter an: »Hilf mir, Muse!«, oder er spielt sogleich auf die<br />

Fabuliergemeinschaft mit seinen Zuhörern an: »Eduard, so nennen wir einen reichen<br />

Baron im besten Mannesalter ...« Auch die Distanz <strong>des</strong> »Es war einmal« meint ja nicht<br />

eigentlich eine Vorzeit, sondern einen weitabliegenden Raum epischer Souveränität, für<br />

den der Erzählende als Gewährsmann <strong>und</strong> Zeuge einsteht.<br />

Bei Goethe freilich gibt es, trotz <strong>des</strong> epischen Tons, den er pflegt, schon jenen<br />

verräterischen Satz, daß der Rhapsode »hinter einem Vorhang am allerbesten läse«, er<br />

»sollte als ein höheres Wesen in seinem Gedichte nicht erscheinen«. Leichthin wird<br />

dieser Satz immer wieder im Zusammenhang mit der Hörspielkunst erwähnt – aus ganz<br />

äußerlichen Gründen: weil auch die Hörspielsprecher unsichtbar sind. Wahrscheinlich<br />

aber drückt sich in ihm schon die Tendenz aus, die das ganze weitere Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

vorherrschend sein wird, jene Entwicklung zur Objektivierung, die nur in der fixierten<br />

Sprache möglich war. In dem Maße, in dem der Dichter sich verbirgt <strong>und</strong> der Rhapsode<br />

als Gewährsmann einer durch die Kraft der Poesie geschaffenen Welt sich zurückzieht,<br />

muß diese Welt selbst nach vorn rücken – <strong>und</strong> sie, muß sich anderswoher legitimieren als<br />

durch die Autorität <strong>des</strong> schöpferischen Dichter-Sängers, nämlich aus der Wirklichkeit. Der<br />

Rhapsode hinter einem Vorhange eröffnet den Weg, der über den Realismus <strong>und</strong><br />

Naturalismus der großen Erzähler <strong>des</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bis zu den Romanen von James<br />

Joyce <strong>und</strong> bis zu Beckett führt, der in Comment c'est deklariert: »Ich sage nicht mehr, wer<br />

spricht, das sagt man nicht mehr, das muß ohne Interesse sein.«<br />

Diese Entwicklung hat, dadurch, daß in ihm die Person in der Kontinuität der Stimme stets<br />

gegenwärtig ist, für das Hörspiel sozusagen nicht stattgef<strong>und</strong>en. Unmöglich kann hier der<br />

Name <strong>des</strong>sen, der spricht, »ohne Interesse sein«, denn der sprechend Gegenwärtige<br />

steht als Person für das Gesagte ein. Darum stellen sich im Hörspiel Erzähler wie<br />

Darsteller im allgemeinen sofort vor oder werden vorgestellt; indem sie sich aber zum<br />

Namen bekennen, bekennen sie sich zu ihrer Stimme <strong>und</strong> dadurch zur Einheit der<br />

154

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!