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theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

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Diese Überlegungen sind nicht so weit vom Ausgangspunkt, von Brechts Radiolehrstück<br />

<strong>und</strong> <strong>seiner</strong> Theorie entfernt, wie es scheinen mag. Brecht stellt im Lindberghflug Sprache<br />

in Dienst, sie muß der Doktrin dienen, <strong>und</strong> ihre Metaphorik darf nicht ein anschauliches<br />

Sein, sondern muß Begriffliches, ein abstraktes System von sich gegenüberstehenden<br />

Machtgruppen, ausdrücken. Beruht das Hörspiel auf der schöpferischen, der magisch-<br />

lyrischen Möglichkeit der Sprache, so ist seine Tendenz genau der Brechts<br />

entgegengesetzt. Magisch-lyrische Sprache will den Einzelnen, will ihn »von der Masse<br />

trennen«, will jede Verbindung zwischen ihm <strong>und</strong> allem Kollektiven auflösen – außer<br />

natürlich der Verbindung zu jenem kollektiven Unbewußten, in dem nach C. G. Jung die<br />

Archetypen wohnen <strong>und</strong> in dem je<strong>des</strong> individuelle Bewußtsein wurzelt. (Für die Worte<br />

»Masse« <strong>und</strong> »Kollektiv« kann natürlich von Fall zu Fall jede Form von gesellschaftlicher<br />

oder ideologischer Gemeinschaft eingesetzt werden: Klasse, Nation, Gemeinde etc.)<br />

Nun aber drängt sich eine weitere Überlegung auf: ob nicht die beiden künstlerischen<br />

Verhaltensweisen zur Sprache – die dramatische, die ursprünglich der liturgischen<br />

verwandt ist, <strong>und</strong> die magisch-lyrische – ganz wesentlich dadurch unterschieden sind, daß<br />

die eine den Menschen in der Gesellschaft, in der Gemeinschaft, in der Gemeinde<br />

voraussetzt oder konstituieren will, die andere den Menschen im Alleinsein, im Alleingang<br />

mit der Sprache <strong>und</strong> ihrer uralten magischen Welt. Keine Frage allerdings, daß in den<br />

großen dramatischen <strong>und</strong> liturgischen Formen – sowohl in der griechischen Tragödie als<br />

auch in der Meßliturgie – niemals (wie Brecht das durch die Mechanik <strong>des</strong> Nachplapperns<br />

zu erreichen versucht) vollkommenes Sich-Aufgeben <strong>und</strong> Sich-Auflösen <strong>des</strong> Individuums<br />

ins Kollektive – oder was dem entspricht – erstrebt wird oder gar erfolgt. Selbst die großen<br />

liturgischen <strong>und</strong> dramatischen Prototypen sind in dieser Hinsicht nicht radikal <strong>und</strong> nicht<br />

einseitig, sie leben von der Zweipoligkeit, von der Spannung zwischen der unaufgebbaren<br />

Individuation <strong>und</strong> der Gemeinde. Im Drama haben auch das lyrische Chorlied <strong>und</strong> die<br />

Musik Ihren Platz, <strong>und</strong> in der Messe geschieht als Höhepunkt der liturgischen Rede <strong>und</strong><br />

Gegenrede die Wandlung, der gewaltigste Vorgang von Neuschöpfung durch das<br />

gesprochene Wort für die, die an ihn glauben.<br />

Es wird immer wieder beklagt, daß unsere Zeit keine reinen Formen mehr produziere, weil<br />

sie z. B. die Spezies <strong>des</strong> Epischen, Lyrischen <strong>und</strong> Dramatischen künstlerisch nicht mehr<br />

sauber herausstelle. Vielleicht ist aber nur ein großer Umwandlungsprozeß im Gange, bei<br />

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