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theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

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Synonyma: welche Weisheit der Sprache! Erst im Tod kommen die Variationen <strong>des</strong><br />

Wirklichkeitszweifels zum Stehen, erst hier gewinnen Glaubenswirklichkeit <strong>und</strong><br />

Wirklichkeitsglaube Leben.<br />

Und nun der weitere Schritt in Eichs bisher letztem Stück: Festianus Märtyrer ist aus dem<br />

Paradies, wo er bald nach <strong>seiner</strong> Ankunft, die Seinen vermissend, ein schlechtes<br />

Gewissen verspürte, in die Hölle hinabgestiegen, in die er nicht gehört. Hier trifft er die<br />

Hure Octavia, der er bei Lebzeiten in einer Taverne begegnet war, <strong>und</strong> versucht mitleidig,<br />

sie in ihren gräßlichen Höllenqualen zu trösten: mit einer Geschichte, durch die er sie ihre<br />

Leiden vergessen machen will. Doch es scheint das erste Mal zu sein, daß Eich<br />

angesichts der Sprache, da er sie als Heil<strong>mittel</strong> gegen die Hölle zu benutzen versucht,<br />

resigniert. Festianus weiß seine armselige Erzählung nicht mehr weiterzuführen, er <strong>und</strong><br />

die Hure stammeln nur immer hilflos die Worte, bei denen sie stecken bleiben: »Die<br />

Häscher kommen, die Häscher ...« Aber hat es wirklich bei dieser Resignation sein<br />

Bewenden? Festianus denkt immer nur nach, wie die Geschichte mit den Häschern<br />

weitergehen kann: »Wie kann es weitergehen? Auf h<strong>und</strong>ert Arten!« Aber dann plötzlich<br />

fragt er: »Wie muß es weitergehen?« <strong>und</strong> die Frage <strong>und</strong> die Qualen der Verdammten<br />

bringen ihn auf den Weg, von dem er freilich noch nicht weiß, daß er die Lösung ist. Er<br />

gibt für sich selbst das Paradies <strong>und</strong> die Erlösung auf, die ihm als Heiligem zustehen. Er<br />

läßt Petrus, dem Türhüter <strong>des</strong> Himmels, bestellen, er sei »zu den Irrtümern zurückgekehrt,<br />

von den Heiligen zu den Fischern <strong>und</strong> Zeltmachern«, <strong>und</strong> bleibt bei den Verstoßenen.<br />

Gerade damit aber wird er die Hölle sprengen: denn »wenn das Paradies nicht endgültig<br />

ist, so ist es auch die Hölle nicht«.<br />

Was ist das für ein Boden, den Eichs Blindenstock klopfend entdeckt? Zuerst die<br />

Aussätzigen. Dann die Gewißheit <strong>des</strong> To<strong>des</strong>, die auch eine Gewißheit der Wirklichkeit<br />

<strong>und</strong> eine Gewißheit der Liebe ist, wenn Liebe bis dahin aushält. Schließlich die Erlösung<br />

der Menschen aus der Höllenqual durch Aufgabe <strong>des</strong> eigenen Heilsanspruchs, dadurch<br />

daß sich die Glücklichen, die Freien, die Erlösten freiwillig zum Leiden aller bekennen.<br />

Dies also ist Eichs bisher letzte Antwort auf die Frage, wozu sie gut ist, diese entsetzliche,<br />

illusionslose Annäherung an die Wirklichkeit: eine klare Absage an die »Gemeinschaft der<br />

Heiligen«, an die Kirche, eine Absage zugunsten <strong>des</strong> Heils aller. Das gab es wohl nur<br />

noch einmal in unsrer heutigen Welt: nur noch bei Simone Weil, jener jungen<br />

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