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theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

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Ilse Aichinger versucht noch weiter zu gehen, bei ihren Bilderspielen aus Sprache ganz<br />

ohne eine so summarische Metaphorik auszukommen. Zwar ihr Hörspiel Knöpfe (53), in<br />

dem Fabrikarbeiterinnen – durch die unmenschliche Gleichheit ihres Arbeitsprozesses<br />

oder vielleicht auch infolge der Schablone, der sie freiwillig nachlaufen – eine nach der<br />

andern ihre Individualität verlieren <strong>und</strong> sich in Knöpfe verwandeln, hat noch einen<br />

einfachen Sinnvorgang: eben diesen zunehmenden Individualitätsverlust, der natürlich<br />

auch nur in gleichnishafter Abstraktion darzustellen ist. In ihren neuen Hörspielen,<br />

konsequent weiterentwickelten Formen aus den <strong>und</strong>eutbar-bedeutungsvollen Dialogen<br />

<strong>des</strong> Bändchens Zu keiner St<strong>und</strong>e (59), gibt es nur noch gläsern-glänzende Bilder, die in<br />

sich keinen rationalen <strong>und</strong> keinen Handlungszusammenhang haben, sondern in letzter<br />

Instanz Wortimagination bleiben, niemals vollständig zu etwas Gemeintem erlöst werden<br />

wollen. Die Arbeiten sind als »Drei Dialoge« unter dem Titel <strong>des</strong> längsten der Hörspiele,<br />

Besuch im Pfarrhaus (61), in einer kleinen Broschüre <strong>des</strong> S. Fischer-Verlages<br />

veröffentlicht. Man kann sie hin <strong>und</strong> her analysieren, wird aber dabei trotz Stimmen <strong>und</strong><br />

Figuren nie auf Personen, trotz zahlreicher Vorgänge niemals auf Handlung <strong>und</strong> trotz<br />

unendlich vieler Bilder niemals auf Gegenstände stoßen. All das ist kunstvoll vermieden.<br />

Das Stichwort, das, ohne es ganz zu verwirklichen, zuerst Dylan Thomas prägte, indem er<br />

seinem Milchwald den Untertitel »Spiel für Stimmen« gab <strong>und</strong> das Günter Eich dann im<br />

Titel <strong>des</strong> umfangreichsten <strong>seiner</strong> Hörspielbücher aufgriff: Ilse Aichinger hat es bis in die<br />

letzte sprachmusikalische Konsequenz zu realisieren versucht. Wie das vorgeht, ist nicht<br />

zu beschreiben, sondern muß gehört oder wenigstens gelesen werden. Charakteristisch<br />

ist die Verfremdung aller Zeitbegriffe durch Vermischung mit Begriffen für Raumdistanz<br />

etwa nach folgendem Muster:<br />

- Aus der Ferne von der frischgebauten Straße winkten zwei Kinder.<br />

- Das waren wir!<br />

- Wie weit?<br />

- Zwei Meilen ungefähr, die Jahre weiß ich nicht.<br />

- Es können gut acht<strong>und</strong>zwanzig gewesen sein.<br />

- Das war zu Beginn welchen Krieges?<br />

- Des vierten?<br />

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