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theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

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Erzähler weiß schon am Anfang <strong>und</strong> in der Mitte das Ende, <strong>und</strong> ihm ist folglich jeder<br />

Moment der Handlung gleichgeltend, <strong>und</strong> so behält er durchaus eine ruhige Freiheit.«<br />

Jetzt aber die entscheidende Überlegung Schillers:<br />

»Es entsteht daraus ein reizender Widerstreit der Dichtung als Genus mit der Spezies<br />

derselben. Die Dichtung als solche macht alles sinnlich gegenwärtig, <strong>und</strong> so nötigt sie auch den<br />

epischen Dichter, das Geschehene zu vergegenwärtigen, nur daß der Charakter <strong>des</strong><br />

Vergangenseins nicht verwischt werden darf.« Andererseits: »Die Dichtkunst macht alles<br />

Gegenwärtige vergangen <strong>und</strong> entfernt alles Nahe durch Idealität« – wir würden heute sagen,<br />

durch Stilisieren, durch Verfremden oder dergleichen – »<strong>und</strong> so nötigt sie den Dramatiker, die<br />

auf uns eindringende Wirklichkeit von uns entfernt zu halten <strong>und</strong> dem Gemüt eine poetische<br />

Freiheit gegen den Stoff zu verschaffen. Die Tragödie in ihrem höchsten Begriff wird also immer<br />

zu dem epischen Charakter hinaufstreben <strong>und</strong> wird nur dadurch zur Dichtung. Das epische<br />

Gedicht wird ebenso zu dem Drama herunterstreben <strong>und</strong> wird nur dadurch den poetischen<br />

Gattungsbegriff ganz erfüllen; just das, was beide zu poetischen Werken macht, bringt beide<br />

einander nahe.«<br />

Das Zitat ist lang <strong>und</strong> schwierig, aber wer diese scharfsinnigen, heute erst hochaktuellen<br />

Überlegungen versteht, versteht das Entscheidende gerade auch vom Reiz der<br />

Hörspielform <strong>und</strong> von ihrem besonderen Ort zwischen den drei Modi der Dichtkunst:<br />

dramatisch – episch – lyrisch. Es geht um das Spiel mit den Spannungsverhältnissen<br />

zwischen ihnen, zwischen dem dramatisch-anschaulichen Uns-gegenübergestellt-sein der<br />

Handlung <strong>und</strong> dem episch souveränen Verfügen <strong>und</strong> Sich-herumbewegen-können um die<br />

Handlung mit »Rückschritten« <strong>und</strong> »Vorgriffen« usf. Hinzu kommt noch, daß die<br />

Überordnung <strong>des</strong> lyrischen Elements (durch die Verlagerung der Vorgänge ins Innere) die<br />

Spannung zwischen episch <strong>und</strong> dramatisch aufheben <strong>und</strong> auf höherer, »idealer« Ebene<br />

mit dieser Spannung spielen kann.<br />

Zweifellos hat das Hörspiel viel Episches: dadurch, daß sein Ablauf nur in der inneren<br />

Anschauung vor sich geht, daß wir uns selbst – mit dem Dichter – mitten im Ablauf zu<br />

befinden glauben <strong>und</strong> daß wir uns, wenn der Dichter will, frei um die Vorgänge <strong>und</strong><br />

Personen herumbewegen können. Zweifellos drängt dieses Epische im Hörspiel auch zur<br />

Vergegenwärtigung, ja ist in fast dramatischer Art gegenwärtig. Doch treten dabei die<br />

Figuren nun nicht als Handelnde (Akteure) vor uns – denn sonst würde das Wort <strong>des</strong><br />

Hörspiels zum Agieren, zum sichtbaren Theater drängen –, sondern sie bieten sich uns<br />

dar als empfindende, lyrische Individuen, die im Augenblick gleichfalls ihre inneren<br />

Erfahrungen machen. Insofern besitzt das Hörspiel lyrischen Charakter, seine Personen<br />

verhalten sich wie das in der Lyrik sprechende Ich zur Dramenfigur, sie sind nicht aktiv,<br />

sondern überwiegend passiv.<br />

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