05.02.2013 Aufrufe

theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Hörspiel dagegen rief vorwiegend zu einer äußerst schwierigen <strong>und</strong> mühsamen, weil<br />

individuellen <strong>und</strong> positiven Art <strong>des</strong> sittlichen Widerstands, entsprechend seinen<br />

tausendmal zitierten Schlußversen:<br />

Schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!<br />

Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!<br />

Doch wahrscheinlich bewirkte gerade die Leidenschaftlichkeit, mit der die<br />

Herausforderung der Träume von der Majorität abgelehnt wurde, daß sie bei der Minorität,<br />

auf die es ankam, Nachfolge fanden <strong>und</strong> die Hörspielkunst der Nachkriegszeit ins Leben<br />

riefen. Man darf diesen Erfolg unter keinen Umständen formalistisch sehen, wie es oft<br />

geschieht, so, als hätte Eich nur neue Mittel, interessante Techniken, originelle<br />

Sprechweisen erf<strong>und</strong>en. Vermutlich ist heute Dichtung überhaupt – im Gegensatz zur<br />

klassisch-romantischen, die vom Dichter als von der Stimme <strong>des</strong> Volkes spricht – nur aus<br />

der individuellen Opposition heraus möglich. Das ist eine tragische Konstellation, an der<br />

sich nichts ändern läßt.<br />

Wer lange im Dienst <strong>des</strong> großen Publikums an extremer Stelle, nämlich im Hörspiel,<br />

gearbeitet hat, wo der Anspruch der Qualität <strong>und</strong> der Anspruch der Millionen wie nirgends<br />

sonst zusammenstoßen, der weiß, daß die Antinomie nicht aufhebbar ist. Man muß<br />

Erfahrungen mit Hörerpost haben, um das zu ermessen. Die Hörerpost, die bei den<br />

Sendern eingeht, ist von vollständig anderer Art als etwa Leserbriefe der Zeitungen:<br />

vielfach, ja fast in den meisten Fällen von unflätiger Grobheit <strong>und</strong> unvorstellbarer<br />

Rechthaberei, wo es gilt, den eigenen platten Geschmack <strong>und</strong> die eigene Bequemlichkeit<br />

zur Richtschnur aller zu machen. (»Wir kommen abends müde von der Arbeit, wir<br />

wünschen nicht, zu aufregenden oder mühevollen Gedanken <strong>und</strong> Empfindungen geweckt<br />

zu werden.«) Wahrscheinlich ist die merkwürdige Einseitigkeit der sprechenden<br />

Empfangsmaschine Radio <strong>und</strong> die hoffnungslose Abhängigkeit, in die die meisten<br />

Menschen davon gerieten, einer der psychologischen Gründe für das überwiegen<br />

bösartiger <strong>und</strong> ungezogener Formulierungen in den Protestschreiben an die Funkhäuser;<br />

darüber sollten sich einmal die Psychotherapeuten äußern. Aber vermutlich wird diese<br />

Sorge durch die Fernsehkonkurrenz mit der Zeit ohnehin geringer.<br />

236

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!