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theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

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will!) Was aber die wörtlichen Zitate betrifft, so verschlägt es der Sayers nichts, z. B. das<br />

erschreckende Wort Jesu: »Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?«, das er nach<br />

Johannes in Kana <strong>seiner</strong> Mutter entgegenschleudert, durch einen Zusatz folgendermaßen<br />

aufzuweichen: »Weib, was habe ich mit dir zu schaffen? Was ziehst du mich da hinein?«<br />

Die Sayers-Hörspiele sind ein Musterbeispiel, an dem sich lernen läßt, wozu die<br />

Hörspielform unter keinen Umständen tauglich ist: man kann nicht versuchen wollen, uns<br />

eine Gestalt aus einer andern Welt durch realistisches Hineinnehmen in unsern<br />

bürgerlich-trivialen Alltag (etwa nach Art der Maler von Uhde bis Eduard von Gebhardt)<br />

vertrauter zu machen. Eher ist das Gegenteil möglich, was die begabte Sayers<br />

gelegentlich da, wo sie nicht bis zur Pedanterie theologisch »genau« sein will, auch<br />

praktiziert: man kann zeigen, daß unsere Alltagswelt in eine andere hineinragt, die nicht<br />

nur irrationaler, sondern auch gültiger <strong>und</strong> wirklicher ist. Ein überzeugen<strong>des</strong> Beispiel dafür<br />

ist der Angsttraum der Claudia, der Frau <strong>des</strong> Pilatus; sie erzählt ihn selber, un<strong>mittel</strong>bar<br />

nach Jesu Tod auf Golgatha:<br />

»Ich war mit einem Schiff unterwegs, zwischen den Ägäischen Inseln. Das Wetter war sonnig<br />

<strong>und</strong> die See glatt, aber plötzlich wurde der Himmel finster <strong>und</strong> das Wasser sprang. (Man hört<br />

Wind <strong>und</strong> Wellen.) Da kam auf einmal aus dem Osten ein gellender Schrei. (Eine Stimme in<br />

hohlem Klageton: ›Pan ho megas tethneke‹) ›Was wird da geschrien?‹ fragte ich den Kapitän. Er<br />

antwortete: ›Der große Pan ist tot.‹ – ›Wie kann Gott sterben?‹ stammelte ich. Er aber sah mich<br />

an: ›Erinnern Sie sich nicht? Er wurde gekreuzigt. Er litt unter Pontius Pilatus...‹ Nun aber<br />

blickten auf einmal alle an Bord herüber, <strong>und</strong> alle begannen zu murmeln wie im Gebet: ›Gelitten<br />

unter Pontius Pilatus...‹ (Anschwellend mit vielen Stimmen von Erwachsenen <strong>und</strong> Kindern <strong>und</strong> in<br />

vielen Sprachen, sich steigernd: ›Gelitten unter Pontius Pilatus... usf.‹)«<br />

Doch ich glaube, die Sayers-Hörspiele lehren darüber hinaus: wenn man es künstlerisch<br />

<strong>und</strong> religiös ernst meint, darf man diesen Jesus im Hörspiel überhaupt nicht mit <strong>seiner</strong><br />

Stimme, mit seinem Herrenwort, neben den Menschenstimmen <strong>und</strong> dem trivialen<br />

Menschenwort auftreten lassen. In der Matthäuspassion singt Jesus, in den alten<br />

Passionsspielen spricht er, unverwechselbar mit der alltäglichen Wirklichkeit, Verse.<br />

Wenn aber in einem unstilisierten Dialog Jesu große rhetorische Fragen, die<br />

unwidersprechbar <strong>und</strong> liturgisch formuliert sind, etwa: »Welcher ist unter euch, so ihn sein<br />

Sohn bittet um Brot, der ihm einen Stein biete?« – wenn solche Fragen zu<br />

schulmeisterlichem Frage- <strong>und</strong> Antwortspiel gemacht werden: »Was meinst du dazu,<br />

Simon?« ... »Sicherlich nicht, Meister! Ich würde immer meinen Kindern geben, um was<br />

sie bitten...« so führt das ins Dümmlich-Lächerliche.<br />

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