GESCHICHTE

Die Tiirkei Abdul-Hamids nach dem Berliner Vertrag. 587
jährlich dadurch gesichert, dafs sie das Stempelrecht, die Steuern
auf Spiritus und Seide und den alten Zoll" auf die Fischereien
nicht antasten zu wollen erklärte ; die Monopole des Salzes und
des Tabaks sollten, wie die eventuell nach Konstantinopel fliefsenden
Ratenzahlungen Ostrumeliens und Zyperns, demselben
Zwecke dienen. Ein Bankierkonsortiurn, das mit der Verwaltung
dieser Einkiinfte beauftragt war, wurde Ende 1881 durch ein Syndikat
der Gläubiger ersetzt, bei dem der Staat nur seinen Kommissar
halten durfte 1).
Trotz aller Einmischung der Gesandten und Konsuln in die
inneren Angelegenheiten, trotz der Notwendigkeit, durch immer
neue Beweise ihre Willfährigkeit darzutun, Reformen einzuführen
und den Staat, wenn auch nicht die verschiedenartige, so sehr zurilckgebliebene
Gesellschaft zu modernisieren, hätte die Pforte
aber leichtes Spiel gehabt : das alte gebieterische, unermiidlich
beratende, kontrollierende, hadernde Europa Napoleons III., des
Schulmeisters" nach dem Ausdruck Bismarcks, hatte tatsächlich
seit vielen Jahren zu leben aufgehört. Statt eines wenigstens
in grofsen Ziigen solidarischen Auftretens hatten die Tiirken nun
die neuen Allianzsysteme, zuerst den Dreikaiserbund, dann den
Dreibund, zuletzt, nach 1890, auch die russisch-französische Allianz
vor sich , und fiir einen so geschickten Spieler wie der unerfahrene
, melancholisch-träumerisch aussehende Abdul-Hamid 2),
der sich bald als echter Staatsmann bekundete, gab es viele Auswege,
um einer driickenden Bevormundung zu entgehen.
Der Ernst der Lage war aber, selbst fiir den gröfsten unter
den orientalischen Politikern der Verzögerung und der Liige, ein
anderer: die fortgesetzte Gärung unter den noch osmanisch"
gebliebenen Bevölkerungen, die entweder ihre Vereinigung mit
den unabhängig gewordenen Briidern oder wenigstens ein autonomes
nationales Leben verlangten.
Die neueste, dreifsigjährige Geschichte der Tiirkei während
der Jahre 1878 bis 1908 weist eigentlich keine Veränderungen
in den Staatsformen, keine eigene wirtschaftliche oder kulturelle
Entwicklung auf, sondern umfafst nur die kretische, im allgemeinen
1) Morawetz a. a. 0. S. 6o ff. 2) Siehe weiter.