Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen
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Zur Syntax des deutschen Gedichts 103<br />
Sonett mit dem Oktett. Der Zusammenhang mit dem Oktett wird auch durch<br />
variierte Wort-Wiederholung ein Süßes hergestellt, auf die der mit dem Relativpronomen<br />
das eingeleitete postpositive Attributsatz bezogen ist. Diese Strophe<br />
schließt der postpositive Hauptsatz, um den der Gr<strong>und</strong>typus erweitert wird. Er ist<br />
durch pronominale Wiederaufnahme des Nukleus ein Süßes mit der vorangehenden<br />
Hypotaxe inhaltlich <strong>und</strong> syntaktisch besonders eng verb<strong>und</strong>en.<br />
Der Gesamtsatz im Schlussterzett, das eine zusammenfassende <strong>und</strong> abschließende<br />
Funktion hat, ist vom Gr<strong>und</strong>typus strukturiert, der aus einem Hauptsatz<br />
<strong>und</strong> zwei voneinander abhängigen Nebensätzen besteht: HS - NS1 - NS2. Die<br />
Strophe eröffnet der Hauptsatz mit dem satzverbindenden <strong>und</strong> in Spitzenstellung, 6<br />
dem sich das Prädikat anschließt, dem seine Position nach der Konjunktion <strong>und</strong><br />
Nachdruck verleiht. Die invertierte Wortfolge im Hauptsatz kann auch reimbedingt<br />
sein. Gestuft sind ein Temporalsatz mit der Konjunktion als <strong>und</strong> ein konjunktionsloser<br />
Konditionalsatz. Die gestuften Nebensätze, die die Schlussfolgerungen<br />
zum Ausdruck bringen, nehmen somit die letzte, stärkste Position im Sonett<br />
ein. Der letzte Teilsatz ist konjunktionsloser Konditionalsatz, dessen „Verbform<br />
[hier: Verbum finitum Wirst] am Anfang vom Formulierenden wie vom Empfänger<br />
höhere Konzentration verlangt. Die Verteilung der Verben [hier: Wirst … nicht<br />
verschmähen] trägt zur Ausgewogenheit des Gesamtsatzes bei.“ (Möller 1978: 73)<br />
Ein auffälliger Stilzug bei J. W. Goethe ist die reiche Verwendung von Attributen.<br />
Außer Infinitivsätzen mit attributiver Bedeutung treten im Gedicht als Attribute<br />
flektierte (süßes/süßem, geformte, heil’ger, Gebackne, fre<strong>und</strong>liches, wohlbekannte, kleinste)<br />
<strong>und</strong> unflektierte (Poetisch) Adjektive, Possessivpronomen (Mein), Demonstrativpronomen<br />
(solchen) <strong>und</strong> ein nachgestelltes Genitiv-Attribut (heil’ger Weihnachtzeiten) auf.<br />
Dieses postnukleare Genitiv-Attribut ist an den Nukleus Die Früchte angeschlossen.<br />
Attributfunktion hat auch das pränukleare Adjektiv heil’ger, das dem Nukleus<br />
Weihnachtzeiten untergeordnet ist. In den Attribuierungen äußert sich das Streben<br />
nach ökonomischer „Verdichtung“ der Information. Das Attribut Poetisch, dessen<br />
morphologische Struktur von der Gegenwartssprache abweicht, tritt hier in altertümlicher<br />
Weise unflektiert auf. Durch das Fehlen des Flexionsmorphems es wird<br />
der regelmäßige Wechsel von Hebung <strong>und</strong> Senkung nicht gestört.<br />
6 Über die Besonderheit der Funktion der rein beiordnenden Konjunktionen, der freien Fügteile,<br />
schreibt Glinz (1975: 156): „Es ist schon öfters bemerkt worden, wie ein ‚<strong>und</strong>‘’ an der Spitze eines<br />
Verses, einer Strophe oder eines ganzen Gedichtes, ein ‚<strong>und</strong>‘’ nach einem durch Punkt abgeschlossenen<br />
Satz den Charakter des neueröffneten Satzes bestimmt“.