Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen
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194<br />
Matthias Schubert<br />
Europa noch einen eisernen Vorhang gab <strong>und</strong> die EU eine überschaubare Vereinigung<br />
war, wusste jeder, was deutschen Fußball auszeichnet: Disziplin, Ausdauer<br />
<strong>und</strong> Einsatzfreude. Über den Kampf zum Spiel finden, so lautete die Formel, die<br />
so manchen Gegner erschreckte. Heute gibt es im deutschen Fußball auch Taktik,<br />
Eleganz, Ballgefühl <strong>und</strong> Spielwitz zu bestaunen. Kein W<strong>und</strong>er, wenn man die große<br />
Zahl nicht-<strong>deutscher</strong> Spieler <strong>und</strong> Trainer betrachtet, die inzwischen die Liga<br />
bereichern. Europa ist Alltag im deutschen Fußball, nicht nur innerhalb der Teams,<br />
sondern auch bei Sponsoren <strong>und</strong> Medien <strong>und</strong> im internationalen Wettstreit der<br />
besten Vereinsmannschaften. Für die Fans, die Woche für Woche ins Stadion<br />
kommen, spielt Europa aber keine Rolle. Sie wollen ihre Mannschaft gut spielen<br />
<strong>und</strong> gewinnen sehen. Den Wunsch nach Identifikation mit der eigenen Region<br />
verbinden diese Fans nahezu spannungsfrei mit dem Flair der weiten Welt. Auf<br />
dem Platz ist ein Bremer ein Bremer <strong>und</strong> ein Dortm<strong>und</strong>er ein Dortm<strong>und</strong>er –<br />
gleichgültig, ob der Spieler nun in Russland oder Rumänien, Litauen oder Luxemburg<br />
geboren wurde. Die Kunst des Zusammenspiels folgt im Fußball einfachen,<br />
weltweit einheitlichen Regeln <strong>und</strong> gelingt auch ohne komplexe sprachliche <strong>und</strong><br />
kulturelle Transfers.<br />
In diesem Sinne ist seit Jahrzehnten im Tanztheater <strong>und</strong> (zunehmend auch im<br />
Musiktheater) eine Internationalisierung zu erleben, eine Gemeinschaft, die ohne<br />
große Worte harmoniert. Die Bewegungssprache des Tanzes <strong>und</strong> die große europäische<br />
Opernliteratur haben den Rang einer universal language erobert. Was spielt es<br />
noch für eine Rolle, aus welchem Land der Tänzer oder die Sängerin stammt, in<br />
welchem Theatersystem die Choreographin oder der Regisseur groß geworden ist.<br />
Wen interessiert es, ob im Orchestergraben eine Bulgarin oder ein Belgier die erste<br />
Geige spielt.<br />
II.<br />
Im traditionellen Schauspiel indessen, das als Sprech- <strong>und</strong> <strong>Literatur</strong>theater von der<br />
Fülle des Ausdrucks, der Poesie, der Differenzierung in der Figurenrede lebt, verhält<br />
sich das ganz anders. Vermitteln sich Inhalt <strong>und</strong> Emotion im Tanz vor allem<br />
durch die Körper <strong>und</strong> in der Oper vor allem durch die Musik, so kommt es im<br />
Schauspiel nicht nur, aber eben auch auf jedes Wort an. Natürlich ist diese Gegenüberstellung<br />
vereinfachend, da jede Inszenierung – ob im Tanz, in der Oper oder<br />
im Schauspiel – mit den unterschiedlichsten ästhetischen Mitteln arbeiten: mit<br />
Bühnenbild <strong>und</strong> Kostümen, Projektionen <strong>und</strong> So<strong>und</strong>tracks, Lichtregie <strong>und</strong> Spezialeffekten.<br />
Und in aller erster Linie natürlich mit der Physis <strong>und</strong> der Psyche der Solisten.<br />
Dennoch war das Schauspiel immer – <strong>und</strong> daran hat sich bis in die Gegenwart<br />
nichts Gr<strong>und</strong>legendes geändert – ein Instrument der Verortung <strong>und</strong> Selbstvergewisserung,<br />
ein Medium, in dem ein begrenzter, aber maßgebender Kreis von Menschen<br />
sich über die Modi des Zusammenlebens verständigt. Das Schauspiel lebt