Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen
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Sylwia Lemańska<br />
klischeehaften Formulierung konfrontiert wird, z. B.: „Jetzt versuche ich mich zu<br />
erinnern, ob Frankfurt Flughafen der erste Flughafen im Leben war, auf dem ich<br />
gelandet bin […]. Vermutlich ja. Ich muß vor Angst gestorben sein. Ungefähr so,<br />
wie der Durchschnittsdeutsche stirbt, wenn er mit seinem teuren Auto nach Polen<br />
fährt.“ (Stasiuk: 33) Doch insgesamt machen die vielen von Stasiuk aufgegriffenen<br />
Stereotype ein viel größeres zunichte, nämlich, dass das deutsch-polnische Verhältnis<br />
längst von problematischer Vergangenheit befreit im Sinne des Euroenthusiasmus<br />
keiner Diskussion mehr bedürftig ist.<br />
Es wird dem Autor vorgeworfen, dass er mit den bereits bekannten Klischees<br />
arbeitet, sie wiederholt. Es stimmt insofern, als dass der Autor sie nicht verschweigt<br />
(„dieser Bericht ist voller Vorurteile, <strong>und</strong> ich habe nicht vor, das zu verbergen“<br />
(Stasiuk: 39)), allerdings versucht er auch diese in einem komplexen Zusammenhang<br />
zu zeigen, sucht nach ihren Ursprüngen <strong>und</strong> zieht eine deutliche<br />
Linie zwischen den Stereotypen auf der einen <strong>und</strong> den Komplexen <strong>und</strong> Ängsten<br />
auf der anderen Seite, die im Kausalzusammenhang zueinander stehen. Ein Beispiel<br />
dafür: „Deutsche eigneten sich nicht für eine Fre<strong>und</strong>schaft. Meine Fre<strong>und</strong>e<br />
bezogen deutsche Sozialhilfe, aber in ihren Erzählungen kamen die Deutschen<br />
nicht als Menschen vor. Höchstens als Arbeitgeber, Polizisten oder Beamte. Und<br />
aus diesen Erzählungen ging hervor, daß Deutschland ein viel angenehmeres Land<br />
wäre, wenn es dort keine Deutschen gäbe. Wenn nur die Gastarbeiter <strong>und</strong> Emigranten<br />
dortblieben. Die Deutschen sollten irgendwo wegfahren <strong>und</strong> sich darauf<br />
beschränken, Geld zu schicken.“ (Stasiuk: 27) Bei dieser Art von Beobachtungen<br />
vollzieht sich zugleich ein Prozess der Selbstdefinierung. Dojczland fungiert hier als<br />
das Fremde im Sinne der Definition Georg Simmels, also als eine „Synthese von<br />
Nähe <strong>und</strong> Ferne, die die formale Position des Fremden ausmacht“ (Simmel 1999:<br />
766), durch die auf das Eigene, Vertraute objektiv, weil aus Distanz geschlossen<br />
werden kann. Stasiuk reflektiert während seiner „deutschen Einsamkeit“ über sich<br />
selbst <strong>und</strong> seine Landesleute. Auch dabei fehlt es ihm nicht an Blickschärfe <strong>und</strong><br />
Selbstironie. Der Erzähler stellt sich als Pole stellvertretend den stereotypischen<br />
Vorstellungen von seiner Nation (Homophobe, Autodiebe, Alkoholiker, Antisemiten<br />
usw.), versucht sie durch Ironie zu neutralisieren, fordert sie nicht selten selbst<br />
heraus: „Jürgen […] fragte, wie es um den polnischen Fußball stehe, <strong>und</strong> ich antwortete<br />
ihm, dass wir jetzt einen polnischen Papst haben <strong>und</strong> nicht mehr im Fußball<br />
gewinnen müssen.“ (Stasiuk: 59) Die Konfrontation mit der Fremde läuft auf<br />
die Bestimmung des Eigenen, Vertrauten hinaus. Und diese Aufgabe scheint für<br />
Stasiuk das Wesentliche seiner Überlegungen auszumachen. „Wer bin ich?“ – diese<br />
gr<strong>und</strong>legende Frage nach seinem Polentum wird mit allem Ernst von Stasiuk auch<br />
explizit gestellt. „Was ist meine deutsche Reise anderes als die Wanderung von<br />
Hans im Glück auf der Suche nach der Weisheit?“ (Stasiuk: 65), fragt der Autor<br />
sich selbst.<br />
So scheint die Konfrontation mit all den Klischees <strong>und</strong> Stereotypen, die nicht<br />
selten ad absurdum geführt werden, eine einzige, sehr ehrliche (Auto-) Psychoanalyse<br />
des Erzählers zu sein, um mit den eigenen Vorurteilen <strong>und</strong> Ängsten, die so