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Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

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244<br />

schon immer sprechen alle von vollkommenheit<br />

<strong>und</strong> trotzdem muß der mensch noch immer sterben<br />

<strong>und</strong> dann erscheint ein gaul mit einem<br />

infusorienrumpf am himmel<br />

(Oskar Pastior)<br />

Hans Thill<br />

Der Leser kann hier sehr gut verfolgen, welche Möglichkeiten jeder Übersetzer<br />

nutzt, um die paradoxen Fügungen der Dichterin im Deutschen nachzuahmen.<br />

Das beschriebene Stillleben der nebeneinander liegenden Brötchen, die Verlängerung<br />

ins Philosophische, das Vanitasmotiv <strong>und</strong> das abschließende surreale Bild, das<br />

in seiner Willkür an einen acte gratuit erinnert – all das sind gemeinsame Ingredienzien.<br />

Die Unterschiede liegen im Rhythmus, in den verschiedenen Stufen von eher<br />

wörtlich bis ganz frei. Man spürt den Willen bei jedem Übersetzer, mit einem gelungenen<br />

Gedicht aufzuwarten. Rätselhaftes (die Schuhe als Maß für die Zeit, die<br />

Eintrittskarte, das Schlusspferd) wird mit Einfallsreichtum eingepasst. Mir selbst<br />

kommt jede Version gleichermaßen überzeugend vor.<br />

Besonderheiten der Schweiz<br />

Ein Land mit ganz anderen Voraussetzungen war die Schweiz, im Jahr 2006 zu<br />

Gast in Edenkoben. Hier hatten wir es mit drei unterschiedlichen <strong>Sprache</strong>n zu tun,<br />

die alle Nachkommen des Lateinischen waren: das Italienische des Tessin, das<br />

Französische der Romandie <strong>und</strong> das Rätoromanische des Vallader. Leta Semadeni,<br />

die Dichterin aus Zuoz, berichtete außerdem von Vereinheitlichungsbestrebungen<br />

der verschiedenen Dialekte dieser kleinsten Sprachgruppe der Schweiz, die immerhin<br />

je nach Lage des Tales, in dem sie gesprochen werden, zum Sursilvan,<br />

Sutsilvan, Surmiran, Puter oder Valader gerechnet werden können.<br />

Das Nebeneinander von vier <strong>Sprache</strong>n, das uns in der Vorbereitung Kopfzerbrechen<br />

bereitet hatte (es gab auch hier Stimmen, die abrieten), stellte sich als eher<br />

kleines Problem heraus. In den Gesprächen über die Gedichte zeigte sich vielmehr,<br />

dass sowohl die Gäste als auch die Übersetzer mit zunehmendem Mut vom einen<br />

Latein ins andere glitten. Außerdem waren alle Schweizer Dichter des Deutschen<br />

mächtig.<br />

Auch die unterschiedlichen poetologischen Ansätze, die sich daraus ergaben,<br />

dass die Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe beinahe zwangsweise eine Orientierung<br />

nach den Metropolen Paris <strong>und</strong> Rom nach sich ziehen, waren eher dazu geeignet,<br />

die Kommunikation zu fördern. Die oft beklagte Tatsache, dass in der<br />

Schweiz nicht nur vier unterschiedliche <strong>Literatur</strong>en, sondern sogar vier literarische<br />

Welten nebeneinander bestehen, spielte in den Tagen von Edenkoben eher eine<br />

kommunikationsfördernde Rolle. Die Übersetzungswerkstatt wurde als eine Art<br />

Gipfeltreffen der lateinischen Schweiz betrachtet.

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