Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen
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Ljudmila Ivanova<br />
Obwohl man sich gr<strong>und</strong>sätzlich darüber im Klaren ist, was ein Übersetzer/Dolmetscher<br />
braucht, ist man im realen Unterricht doch noch manchmal weit<br />
vom Idealfall entfernt. Im Folgenden soll kurz auf einige Defizite im Unterricht<br />
hingewiesen werden, die immer noch der Sprachmittlerausbildung anhaften:<br />
Nicht selten lassen sich Universitätsdozenten vom stark ausgeprägten Streben<br />
verleiten, Unmengen von deklarativem Wissen zu vermitteln. Man trennt sich<br />
schwer von der Rolle des Lehrers als wichtigster Wissensvermittlungsinstanz <strong>und</strong><br />
versucht im Sinne des Aufklärungsideals eine allseitig informierte Persönlichkeit<br />
heranzubilden. Die Nachteile eines derartigen Vorgehens liegen klar auf der Hand:<br />
Die Studierenden erdrücken unter der Last der Informationen, fühlen sich im Informationsmeer<br />
verloren <strong>und</strong> bleiben in der Regel passiv, weil sie angesichts der<br />
Informationsflut nicht mehr die Kraft haben, auch noch selbständig zu recherchieren.<br />
Die Folge davon: Nach einer abgelegten Prüfung wird dieses Wissen schnell<br />
vergessen. So erleben Lehrkräfte mit Verw<strong>und</strong>erung, wie ihre Studenten letzten<br />
Endes wichtige <strong>und</strong> manchmal markante Sachverhalte nicht wiedererkennen können.<br />
Die Lösung wäre in einer Auflistung des Muss für zukünftige Sprachmittler zu<br />
suchen.<br />
Viele Lehrkräfte vernachlässigen die Förderung der Recherchierkompetenz. 16<br />
Aber auch die Studierenden haben sich mit der Idee des lebenslangen autonomen<br />
Lernens noch nicht angefre<strong>und</strong>et <strong>und</strong> übersehen, dass die beruflichen Kompetenzen<br />
ein ständiges Weiterlernen verlangen. Natürlich kann man nicht alles wissen,<br />
aber man muss besonders im Übersetzer-/Dolmetscherberuf stets auf dem Laufenden<br />
sein. Um das zu gewährleisten, muss man mit allen möglichen Informationsquellen<br />
<strong>und</strong> mit ihrem Potenzial vertraut sein. Das wäre neben der Vermittlung<br />
von Wissen wahrscheinlich die wichtigste Aufgabe der Ausbildungsinstanzen.<br />
Kulturprobleme werden oft ausschließlich vergangenheitsbezogen behandelt,<br />
die Gegenwart oder die jüngste Geschichte werden seltener unter die Lupe genommen.<br />
Die Folge davon erlebt man im Übersetzungsunterricht, wo gerade ein<br />
Mangel an gegenwartsbezogenem Wissen für Fehlentscheidungen sorgt. 17<br />
Ein weiteres Defizit macht sich bei der Wahl der Texte bemerkbar, mit denen<br />
im Unterricht gearbeitet wird. Der Versuchung, die Kulturproblematik vor allem<br />
an literarischen <strong>und</strong> in vielen Fällen an älteren Texten zu exemplifizieren, wo diese<br />
leichter zugänglich scheint, ist schwer zu widerstehen. Dabei wird übersehen, dass<br />
die meisten Übersetzer heute selten mit derartigen Texten arbeiten <strong>und</strong> vielmehr<br />
mit unterschwelligen Kulturunterschieden zu tun haben. Daher erscheint die präzise<br />
Auswahl der zu übersetzenden Texte als ein wichtiges Element im Unterricht.<br />
16 Immer noch wird sehr tolerant <strong>und</strong> umsichtig mit Studierenden umgegangen, die die Mühe scheuen,<br />
selber zu recherchieren, <strong>und</strong> die sich auf die Hilfe der Kommilitonen oder des Lehrers verlassen.<br />
17 Dazu folgende Belege aus der Unterrichtspraxis: Das Vorkommen des Toponyms Hindukusch<br />
konnte nicht mit dem Afghanistan-Einsatz in Verbindung gebracht werden, stattdessen wurde eine<br />
semantische Nähe zum Verb kuscheln vermutet; die 68er wurden aufgr<strong>und</strong> mangelnder Kenntnisse als<br />
Personen im Alter von 68 Jahren aufgefasst.