26.10.2012 Aufrufe

Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

152<br />

Sylwia Lemańska<br />

sem Tisch wird nicht nur zu Mittag gegessen, es wird auch zwischen den Eltern<br />

des Erzählers heftig gestritten, eben über den besagten Tisch. Es sei ein <strong>deutscher</strong><br />

Tisch, so die verzweifelte Argumentation der Mutter, <strong>und</strong> ihr ginge es immer wieder<br />

schlecht, wenn sie darüber nachdenke, dass an dem Tisch irgendein Gestapomann<br />

nach seiner Arbeit gesessen <strong>und</strong> Aale gegessen habe… Der Vater versucht, den<br />

verallgemeinernden Vorstellungen seiner Ehefrau Einhalt zu gebieten, indem er<br />

über den vorigen Tischeigentümer erzählt, der zwar auch ein Deutscher war, aber ein<br />

Sozialdemokrat, der für seine politischen Anschauungen sogar drei Jahre im KZ<br />

Stutthof verbracht habe. Die Mutter kann sich auch damit nicht zufrieden geben,<br />

denn wenn er nicht „der böse Deutsche“ gewesen sei, dann war es vielleicht sein<br />

Bruder – einen finde man ja am Ende immer. Damit wächst der Tisch zum Symbol<br />

der Befremdung, der deutsch-polnischen Spannungen – ein Gespenst, das<br />

lange Zeit nach dem Krieg immer noch spuken soll. Und selbst wenn der Tisch<br />

eines Tages der Wut <strong>und</strong> Verzweiflung seiner Besitzer zum Opfer fällt <strong>und</strong> zerstört<br />

wird, ist damit nur das Äußerliche des Problems beseitigt: Verdrängung anstatt<br />

Auseinandersetzung.<br />

Dem Tisch widerfährt im Prinzip dasselbe Schicksal, wie es der interkulturell<br />

geprägten Stadt Danzig zuteil wurde. Huelle erzählt auch in dieser Novelle über<br />

das Zusammenprallen des alltäglichen Lebens mit den Wirren der großen Geschichte<br />

<strong>und</strong> über seine zerstörerische Macht. Die Perspektive eines Kindes verschafft<br />

dem Erzähler eine gewisse Distanz <strong>und</strong> Beobachtungsfreiheit. Es ist die<br />

Neugierde, die ihn bewegt, anstatt der eigenen guten oder schlechten Erfahrungen,<br />

die einen für diese oder jene Seite Partei ergreifen lassen. Huelle als Erzähler zieht<br />

sich zurück, lässt seine Helden sprechen, beschreibt statt zu urteilen, schafft Platz<br />

für gesellschaftlich relevante Diskussionen. Das kindliche Rezeptionsvermögen<br />

entblößt auch einige gr<strong>und</strong>legende psychische Mechanismen der Figuren. Wenn<br />

zum Beispiel die Mutter über die kollektive Schuld der Deutschen spricht <strong>und</strong><br />

äußert, dass womöglich nur das Ausbleiben von Gewissensbissen diese vom Begehen<br />

eines kollektiven Selbstmordes abhielte, kommentiert das erzählerische Ich in<br />

kindlicher Gestalt: „Mama hatte panische Angst vor den Deutschen <strong>und</strong> nichts<br />

vermag sie von dieser Angst zu heilen.“ (Huelle 2007: 7) Paweł Huelle scheut keine<br />

schwierigen Themen, schreibt über Konfrontation mit Vorurteilen <strong>und</strong> Ängsten so<br />

wie sie die Menschen begleiten. Den geschichtspolitisch geprägten Maßstäben der<br />

polnisch-deutschen Beziehungen setzt Huelle, wie auch andere Danziger Autoren,<br />

das Paradigma einer ethnischen Identität entgegen. Diese Art von Identität wird<br />

vom geographisch-kulturellen Raum konstruiert <strong>und</strong> aufrechterhalten, in diesem<br />

Falle beispielhaft von dem interkulturellen Gdańsk, <strong>und</strong> kann zur Überwindung<br />

der Teilung in nationale Identitäten beitragen, damit auch zur Überwindung der<br />

spätestens 1945 begonnenen Spaltung einer Danziger Identität sowohl für die polnischen<br />

als auch für die deutschen Einwohner der Stadt. So sucht der Schriftsteller<br />

Huelle in seinen Büchern das deutsche mit dem polnischen Element stets in Einklang<br />

zu bringen, um so der Atmosphäre des alten Danzigs gerecht zu werden.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!