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Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

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Sylwia Lemańska<br />

einer Heimat, die Parallelität ihrer ineinander existierenden Welten zum Ausdruck<br />

gebracht. Diese Verbindung von Natur <strong>und</strong> dem Geschehen wird explizit bei der<br />

sogenannten „Schatzsuche“ deutlich. „Schätze“ waren die in höchster Eile von den<br />

Deutschen in den Gärten vergrabenen, in Kellern oder Brunnen versteckten Kästen<br />

mit Geld, Porzellan oder anderen Wertgegenständen, die später von den eingesiedelten<br />

Polen zuerst vereinzelt <strong>und</strong> zufällig entdeckt <strong>und</strong> dann gezielt gesucht<br />

wurden. „Diese Schatzsuche“, so Tokarczuk, „hatte etwas Schlafwandlerisches an<br />

sich, es war, als wollten die Suchenden in der Erde die Keime einer fremden, gefährlichen<br />

Pflanze aufspüren“ (Tokarczuk: 263).<br />

Olga Tokarczuk stellt sich auch der Vertreibungsthematik <strong>und</strong> nimmt in ihr<br />

Buch ihre Problematik auf: „Schließlich waren sie [die Deutschen – S. L.] an allem<br />

schuld, sie hatten den Krieg vom Zaun gebrochen, ihretwegen war die Welt zu<br />

Ende gegangen“ (Tokarczuk: 255), denn die Polen „waren ja schließlich nicht aus<br />

eigener Schuld hier, es war nicht ihre Idee gewesen, ihre weiten Felder im Osten<br />

aufzugeben […]. Sie hatten nicht um diese fremden Steinhäuser gebeten“ (ebd.). In<br />

einer chronologisch späteren Perspektive heißt es: „‘Warum sollte jemand auf unser<br />

Haus Ansprüche erheben?‘, fragte ich Marta empört. Und sie antwortete: ‚Weil<br />

er es gebaut hat.‘“ (Tokarczuk: 103) Allerdings wird hier nicht mit Begrifflichkeiten,<br />

wie Recht <strong>und</strong> Ansprüchen jongliert. Die Kontrahenten werden durch ihre<br />

Darstellungsweise eher zu Schicksalsverbündeten, die mit dem Verlustgefühl umzugehen<br />

versuchen. Auch auf dieser Ebene versucht Tokarczuk die Schärfe der<br />

angeblichen Gegensätzlichkeit gegen eine Ähnlichkeit des Wesentlichen, gegen die<br />

bereits erwähnte Kontinuität auszutauschen: „Manchmal überkam es sie einfach,<br />

dann gingen sie mit schwankenden Schritten ins Haus, rissen diese deutschen Heiligenbilder<br />

von den Wänden <strong>und</strong> warfen sie hinter die Schränke, dass das Glas<br />

brach. Sie hängten die eigenen Bilder an die Nägel, ganz ähnliche, vielleicht sogar<br />

dieselben Christusse <strong>und</strong> schmerzensreichen Gottesmütter mit blutendem Herzen.“<br />

(Tokarczuk: 255) Dieses Verfahren kann als ein Ausweg aus der durch internationale<br />

Spannungen gefährdeten Thematik der Flucht- <strong>und</strong> Vertreibungs-<br />

<strong>Literatur</strong> aufgegriffen werden, die für sich den Heimatbegriff ohnehin sehr stark<br />

beanspruch, ihm dadurch eine deutlich einseitige Koloratur verleiht <strong>und</strong> folglich<br />

zum Nährstoff von Ängsten <strong>und</strong> Vorurteilen wird. Olga Tokarczuk hat in<br />

„Taghaus Nachthaus“ die Heimat als eine Begegnungsplattform dargestellt, als<br />

etwas, was über die Zeit <strong>und</strong> Kultur hinweg verbindet, denn nur auf diese Weise<br />

ergibt es Einheit im Sinne einer <strong>Vielfalt</strong>. Zu einer so verstandenen Einheit gehört<br />

auch die Mehrsprachigkeit (in diesem konkreten Fall Zweisprachigkeit). Dabei wird<br />

die <strong>Sprache</strong> selbst als etwas Konstruierendes <strong>und</strong> ein Konstrukt zugleich reflektiert:<br />

„Wer war dieser Mensch, der über Nacht deutsche Ortsnamen zu polnischen<br />

gemacht hatte? […] Er benannte alles von Gr<strong>und</strong> auf neu, er schuf diese gebirgige<br />

unebene Welt. Aus dem Vogelsberg machte er Nierode, Gotschenberg taufte er<br />

patriotisch in Polska Gora (Polenberg) um […]. Weshalb Kirchberg zu Cerekwica<br />

<strong>und</strong> Pfeifferberg zu Swistak gemacht wurde, werden wir nie erraten. Dabei schaffen<br />

Worte <strong>und</strong> Dinge doch einen symbiotischen Raum wie Birken <strong>und</strong> Pilze.“

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