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Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

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Theorie <strong>und</strong> Geschichte der Imagologie 133<br />

Realitätsbezug überprüft), entgeht einem, dass das Spiel mit der Realitätsferne das<br />

zentrale Merkmal des Textauszugs ist <strong>und</strong> dass dadurch die Charakteristik der erzählenden<br />

Hauptfigur um das rührende Detail des sich selbst in die Schranken<br />

weisenden Traums vom falschen Orient ergänzt wird. Dass ausgerechnet Bulgarien,<br />

das ja gerade kein orientalisches Land ist <strong>und</strong> sehr begrenzt als Projektionsfläche<br />

für üppige, exotistische Träume dienen kann, diese Funktion wohl oder übel<br />

übernehmen muss, spricht für die nicht nur in finanzieller Hinsicht beengten Verhältnisse,<br />

in denen Keuns Heldin lebt.<br />

Trotz der eindeutigen Positionierung der Imagologie in Bezug auf die Nation<br />

<strong>und</strong> den möglichen Realitätsgehalt von Fremdbildern wird den Vertretern dieser<br />

Forschungsrichtung gegenwärtig immer noch zuweilen das Vorhandensein von<br />

Resten essentialistischen Denkens vorgeworfen. So ist aufgezeigt worden, dass<br />

besonders die in der älteren Imagologie gängige Vorstellung, der Autor sei das<br />

Sprachrohr seiner Nation, die Existenz einer kollektiven Identität suggeriert, die<br />

durch ein Mitglied des Kollektivs repräsentiert werden kann. Auch die Vorstellung,<br />

das Fremdbild weise stets auf ein Selbstbild hin, kann, wenn ausnahmslos davon<br />

ausgegangen wird, ein Hinweis darauf sein, dass ein Wissenschaftler das Vorhandensein<br />

einer kollektiven Identität annimmt (Florack 2001: 16-23). Diesen Problemen<br />

begegnet die Wissenschaft etwa durch einen weiteren wichtigen Gr<strong>und</strong>satz<br />

imagologischer Forschung: Demnach gelten die untersuchten Texte nicht als Kontinuum,<br />

das ein einheitliches Bild eines bestimmten fremden Volkes wiedergibt,<br />

etwa „das Bild des Chinesen in der deutschen <strong>Literatur</strong>“. Vielmehr sollte man sich<br />

dessen bewusst sein, dass man mit einer Vielzahl unterschiedlicher Bilder (Chinas<br />

<strong>und</strong> seiner Bewohner) zu tun hat, die nicht nur im Zusammenhang zueinander,<br />

sondern gegebenenfalls auch als eigenständig <strong>und</strong> zufällig erfasst werden sollen.<br />

Mit der Annahme der Fiktionalität <strong>und</strong> der prinzipiellen Unmöglichkeit, den<br />

Charakter eines Volkes zu erfassen, dazu noch mit dem Bewusstsein, dass es sich<br />

möglicherweise um ein singuläres Bild handelt, das nicht unbedingt für die gesamte<br />

Gesellschaft, der ein Autor angehört, sondern möglicherweise nur für eine Epoche<br />

oder sogar nur für den einzelnen Autor selbst repräsentativ ist, gehen die Forscher<br />

auf dem Gebiet der Imagologie schließlich dazu über, die Herkunft der Bilder <strong>und</strong><br />

deren Funktion im Text zu untersuchen. Denn es reicht nicht, einfach festzustellen,<br />

dass ein Autor bestimmte Stereotype reproduziert. Ziel der Untersuchung muss<br />

sein, herauszufinden, in welcher Form dies geschieht <strong>und</strong> zu welchem Ergebnis es<br />

im Rahmen des literarischen Texts führt.<br />

Die Zukunft der Imagologie?<br />

Wo liegen die Grenzen der Imagologie <strong>und</strong> welche Möglichkeiten gibt es,<br />

imagologisches Hintergr<strong>und</strong>wissen, imagologische Themen, imagologische Betrachtungsweisen<br />

sinnvoll anzuwenden <strong>und</strong> eventuell auf Gebiete zu übertragen,<br />

die sich nicht unbedingt primär mit der Darstellung fremder Länder befassen?

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