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Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

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Ljudmila Ivanova<br />

Interessante Unterschiede lassen sich auch in anderen Sphären, besonders in der<br />

bildhaften Sprachverwendung beobachten: Im Deutschen sitzt man im Gefängnis,<br />

im Bulgarischen liegt man dort; die deutschen Studenten fallen bei einer Prüfung<br />

durch, die bulgarischen werden zerrissen „����� �������” (im ersten Fall hat man selber<br />

für das Unglück gesorgt, im zweiten wird ein anderer dafür verantwortlich gemacht!).<br />

Die <strong>Sprache</strong>n präzisieren anders: Im Bulgarischen existieren auffallend viele<br />

Bezeichnungen für Ungenaues, vgl. Mengenbezeichnungen wie 5-6, ��������, ���-<br />

����, ���, �����, ��� ������, Adverbiale wie �����-����, ����-����, ����-����. 9<br />

Kontrastive Vergleiche zeigen auch, wie <strong>Sprache</strong>n unterschiedlich diversifizieren,<br />

vgl. Verben im Deutschen <strong>und</strong> im Bulgarischen in Bezug auf Fortbewegungsmöglichkeiten:<br />

gehen, fahren, fliegen – ������ oder bei Lage-Verben: hängen, liegen,<br />

stehen, stecken – ���, ���.<br />

Jede <strong>Sprache</strong> projiziert Symbolbedeutungen in unterschiedliche Bezeichnungen.<br />

Folgende Beispiele sollten diese Erscheinung nur andeuten: Der Löwe gilt<br />

universell als König der Tiere, in Bulgarien zählt er aber auch zu den Staatssymbolen.<br />

Die Farben in der Sphäre der Politik können sehr weit auseinander gehen, vgl.<br />

blau als Farbe der Union der Demokratischen Kräfte in Bulgarien <strong>und</strong> blau als Farbe<br />

der Freiheitlichen in Österreich.<br />

Jede <strong>Sprache</strong> speichert in den Bezeichnungen, festen Wendungen oder<br />

Sprichwörtern eigene Erfahrungen, eigene Entwicklungen, den eigenen, kulturspezifischen<br />

Hintergr<strong>und</strong>: Vergleiche lassen eindeutig diese Besonderheit erkennen,<br />

wie z. B. aufgeblasen wie ein Frosch <strong>und</strong> ����� ���� ����. Die Distel hat im Bulgarischen<br />

eine eindeutig negative Konnotation als Symbol des Ungepflegten, Verwüsteten,<br />

während durch die Lila Distel der deutschen <strong>Literatur</strong> diese Pflanze eine positive<br />

Konnotation bekommen hat. Daher ist zu erwarten, dass Vertreter der beiden<br />

Kommunikationsgemeinschaften eine in einer Distel präsentierte Botschaft unterschiedlich<br />

entschlüsseln werden. 10<br />

Die Realienbezeichnungen sind wahrscheinlich die expressivsten Ausdrucksmittel<br />

der kulturellen <strong>Vielfalt</strong>, egal, aus welchen Bereichen sie kommen. Für ihre<br />

korrekte Dekodierung ist Vorwissen gefragt; wenn dies nicht vorhanden sein sollte,<br />

muss die Bedeutung in angemessenem Umfang für die Adressaten expliziert werden.<br />

Die Reflexe der in <strong>Sprache</strong>n kodifizierten spezifischen Sichten auf die Welt<br />

können sich auch in abweichenden grammatischen Strukturen niederschlagen, wie<br />

9 Interessante Beobachtungen finden sich diesbezüglich in der Erzählung des bulgarischen Schriftstellers<br />

St. Stratiev Vergleichende <strong>Literatur</strong>wissenschaft, vgl. Ст. Стратиев 2002, wo der Hauptheld interessante<br />

Vergleiche hinsichtlich des Hangs zum Ungenauen bei Bulgaren <strong>und</strong> Engländern anstellt.<br />

10 Bei einem literarischen Wettbewerb im Sommerseminar für Bulgarisch-Lernende in V. T�rnovo<br />

hat eine deutsche Studentin einen bissigen Aufsatz über Mängel in Bulgarien vorgetragen. Die Jury<br />

hat den Aufsatz ausgezeichnet, hat aber gleichzeitig damit auch eine Distel überreicht. Während die<br />

Jury-Mitglieder diese Pflanze als nicht schmeichelhaft betrachtet haben, hat sich die Referentin geschmeichelt<br />

gefühlt.

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