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Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

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<strong>Literatur</strong>, Migration <strong>und</strong> sprachliche Kreativität 121<br />

partikularen Sprechens. Stellenweise erinnert dieses Verfahren an den Sprachnaturalismus,<br />

wie wir ihn von Gerhart Hauptmann oder von Giovanni Verga kennen,<br />

wobei Biondi seine Figuren nie in eine <strong>und</strong>ifferenzierte, Individualitäten verwischende<br />

Sprachmasse eintaucht. Vielmehr ist jeder Figur eine eigene <strong>und</strong> unverwechselbare<br />

Sprechweise zugeordnet. Da ist z. B. die <strong>Sprache</strong> der deutschen Vermieterin<br />

Hanne. Sie spricht den Dialekt von Hüttenheim, dem fiktiven Ort in der<br />

Nähe von Mainz, wo der Roman spielt. Hanne hat eine große Sympathie für ihre<br />

italienischen Mieter, <strong>und</strong> diese kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass ihr<br />

„Hüttenheimerisch“ von italienischen Sprachfetzen – meist Schimpfwörtern –<br />

durchsetzt ist:<br />

E porcoddio, do is schun was dro! [...] Da biste ja jung; ich mäne, du konnst hier trotzdem<br />

was noch erlebe! Denk dro: Nur emol lebste, des muß du genieße. Denn uff emol<br />

biste alt, <strong>und</strong> schun is alles passé! (Biondi 1997: 47)<br />

Der Leser stößt auf Formulierungen, die grammatikalisch oder lexikalisch im<br />

Deutschen nicht vorgesehen sind. Damit treibt Biondi die deutsche <strong>Sprache</strong>, in<br />

welcher der Roman verfasst ist, an die Grenze der Unkenntlichkeit. Es handelt sich<br />

über weite Teile des Romans um ein beabsichtigt außergewöhnliches Deutsch, das<br />

sich jeder Sprachnorm <strong>und</strong> Sprachreinheit widersetzt. Mit Sprachschöpfungen wie<br />

„gesternte Schürze“ (Biondi 1997: 5) oder „Zahnlückigkeit“ (Biondi 1997: 47)<br />

sowie durch den Einsatz partikularer Sprachvarietäten <strong>und</strong> der Verschriftlichung<br />

von Soziolekten schafft Biondi seine eigene deutsche <strong>Literatur</strong>sprache.<br />

Sein Roman handelt immer wieder davon, „Reste von Fremde“ (Biondi 1997:<br />

37) zum Sprechen zu bringen. Damit hat er ein Stück weit sein Projekt verwirklicht,<br />

die fremde <strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> die Fremde bewohnbar zu machen. 12<br />

Die andere <strong>Sprache</strong> als Ort des Gedächtnisses<br />

Man stößt in der interkulturellen Gegenwartsliteratur auf zahlreiche scheinbar<br />

einsprachig verfasste Texte, in denen vereinzelt Wörter einer anderen <strong>Sprache</strong><br />

vorkommen. Ein Beispiel hierfür ist die Erzählung „Meine italienische Reise“ von<br />

Francesco Micieli (der Autor ist italienischer Herkunft <strong>und</strong> lebt in der deutschsprachigen<br />

Schweiz). Micielis Erzählung handelt von einer Reise von Norden nach<br />

Süden, von der Schweiz nach Santa Sofia d‘Epiro, dem Geburtsort des Autors in<br />

Süditalien. Einige der letzten Worte des Romans, eingebettet in einen Abschiedsdialog<br />

zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn an einem süditalienischen Bahnhof, stehen in einer<br />

fremden <strong>Sprache</strong>:<br />

12 Ausgeführt hat Biondi diese Vorstellung unter anderem in seinem Essay „Der Fremde wohnt in<br />

der <strong>Sprache</strong>“ (1986).

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