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Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

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Schillerrezeption in Thomas Manns Essay 169<br />

Kabale <strong>und</strong> Liebe in München, als die Räterepublik gerade gefallen war. „Es wurde<br />

zum Schiller-Publikum, wie noch ein jedes es geworden ist vor seinen Stücken“ –<br />

so der begeisterte Thomas Mann. Diese Anziehungskraft, die Stärke der Worte<br />

Schillers, begeistern den intellektuellen Dichter.<br />

Schiller gibt dem Essay Versuch über Schiller einen anderen Klang, selbst Thomas<br />

Manns Erzählen wird dynamischer <strong>und</strong> rhythmischer durch ihn. Der Autor<br />

beginnt mit dem frühesten Werk, Die Räuber. Mann versucht wie Schiller selbst,<br />

„generös, hochfliegend, flammend, empor reißend“, zuerst über die drei gewaltigen<br />

Erstlinge zu reden, Die Räuber, Fiesco, Kabale <strong>und</strong> Liebe, <strong>und</strong> dann folgen die weiteren<br />

wichtigen Werke, die Thomas Mann sympathisch findet: Wallenstein, Die Jungfrau von<br />

Orleans, Die Braut von Messina <strong>und</strong> Wilhelm Tell.<br />

Die Jungfrau von Orleans nennt Thomas Mann Schillers „Wort-Oper“. Dass die<br />

Oper allgemein für Schiller von großer Bedeutung war, bezeugt einer seiner Briefe<br />

an Goethe:<br />

Ich hatte immer ein gewisses Vertrauen zur Oper, daß aus ihr wie aus den Chören des<br />

alten Bacchusfestes das Trauerspiel in einer edlern Gestalt sich loswickeln sollte. In<br />

der Oper erläßt man wirklich jene servile Naturnachahmung, <strong>und</strong> obgleich nur unter<br />

dem Namen von Indulgenz, könnte sich auf diesem Wege das Ideale auf das Theater<br />

stehlen. (Mann 1955: Bd. 10, 763)<br />

Thomas Mann nennt dieses Stück „edelmütig“, „w<strong>und</strong>erherrlich“. Schillers Wortklang,<br />

seine Art, bei Akt- oder Szenenschlüssen seine Jamben zu reimen, ergibt<br />

mehr Reimmusik als je zuvor. Hier werden alle Register der <strong>Sprache</strong> gezogen. Der<br />

Blankvers bildet nur noch den Gr<strong>und</strong> eines poetischen Klangbildes, worin alle<br />

Rhythmen in Bewegung gesetzt werden. Wolfgang Kayser nennt die Musikbegleitung<br />

im Stück „plötzlich“. Besonders auffallend ist es hier, dass an manchen Stellen<br />

nicht mehr Blankverse gesprochen werden, sondern gereimte Verse, strophische<br />

Gebilde, doch – wie Kayser feststellt – wird diese Innovation nicht weiter<br />

entwickelt: „Die Verskunst des späten Schiller deutet dann mögliche Wege an, die<br />

er selbst nicht mehr zu Ende gehen konnte“ (Kayser 1991: 105). Die Jungfrau von<br />

Orleans ist ein Beispiel einer klassisch gehaltenen Romantik, einer romantisierenden<br />

Klassik, etwas völlig Einmaliges <strong>und</strong> an die Persönlichkeit Geb<strong>und</strong>enes, was Goethe<br />

sehr gefiel. „Es was Schillers schönstes“, so Goethe.<br />

Anfang des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts schrieb Schiller mit 42 Jahren sein griechisches<br />

Stück Die Braut von Messina. Es war ein kühnes, mühsames, schönes Experiment<br />

mit seiner Wiedereinführung des antiken Chores. Thomas Manns Einschätzung<br />

nach ist Schiller dieses besser als Goethe in seiner Iphigenie auf Tauris gelungen. Hier<br />

zeigt der Autor etwas völlig Neues, eine neue Konzeption der Tragödie, fast eine<br />

neue Dramaturgie. Schiller hat in einer Vorrede des Werkes den Gebrauch des<br />

Chores verteidigt <strong>und</strong> eigene Hinweise für die Inszenierung gegeben. Der Chor hat<br />

im Drama eine doppelte Funktion: zum einen als Parteigänger <strong>und</strong> zum anderen<br />

als der ideale Zuschauer. „Sein Vorbild […] ist einmal die antike Tragödie. In die-

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