Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen
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250<br />
Franco Biondi<br />
fand nur Filippo neben sich. Carlino war erschrocken zurückgewichen. Ich zünde dir<br />
eine Kerze an, rief Dario, <strong>und</strong> du haust ab?<br />
Carlino flutschte rasch hinaus. Indes fing Filippo an, sich nervös umzuschauen<br />
<strong>und</strong> rückwärts zu gehen.<br />
Warte! Ich bin gleich so weit. Ich schaffe jetzt Gerechtigkeit: Ich zünde drei<br />
Kerzen an!<br />
Filippo hielt an <strong>und</strong> fragte: Warum jetzt drei?<br />
Eine für seinen Babbo, eine für deinen Babbo, eine für meine Mamma. Sie<br />
ist noch rückenkrank.<br />
Filippo winkte ab. Ich hab schon gesagt, wir Dritti kommen woanders hin, das sagt<br />
mein Opa, von daher bringt so was gar nichts.<br />
Obwohl der Priestergehilfe am Hauptaltar herumhantierte, griff Dario in die Tasche<br />
<strong>und</strong> ließ die Schraubenscheiben klimpern. Dann holte er eine raus, schob sie kräftig<br />
in den Schlitz der Kirchenbüchse <strong>und</strong> drehte drei Lampen ein. Das leuchtende<br />
Gelb entriss ihm ein Lächeln. Mit diesem Lächeln steuerte er hinaus.<br />
Hinter ihm Filippo. Carlino wartete am Kirchenportal.<br />
Dario verwandelte sein Lächeln in ein Grinsen. Ich habe meinen Teil getan,<br />
sagte er, nun soll Gott den Rest tun.<br />
Filippo schwieg. Carlino meinte, dass seine Familie ähnlich wie die Sinti nicht an<br />
den Gott der Gagi glaubte. Nur der Heilige Antonio von Padua sei von seinem Babbo<br />
anerkannt. Wir brauchen keine Kirche, sagte sein Babbo; nur der Tod bringt uns<br />
ins Reich der Geister, zu unserem Gott.<br />
Auf einem Laken aus Asphalt jagte eine Schar Jungen hinter einem Stoffball her.<br />
Erinnert ihr euch?, fragte Filippo.<br />
Rede nicht mehr davon, sagte Dario.<br />
Ich mag Bälle nicht, knarrte Carlino. Jungs, die hinter dem Ball herrennen, haben<br />
nur Bälle im Kopf <strong>und</strong> kacken auch nur Bälle. Fußball ist nur was für Waschlappen!<br />
Daraufhin lachte er.<br />
Ist mir egal, sagte Dario. Komm, wir gehen weiter.<br />
Damals war die Schule schuld an der Schlacht gegen die Gagi, meinst du nicht?<br />
Dario blickte Carlino verständnislos an <strong>und</strong> rief: Nein, das war Claudio.<br />
Nein, nicht Claudio, das ist die Schule! Sie macht dumm. Ich glaube, das kommt<br />
daher, wenn Kinder in die Schule gehen müssen. Meinst du nicht, die Schule ist<br />
Gift für Kinder? Aber wen frage ich das, du gehst auch in die Schule, das ist doch<br />
Kacke! Was willst du damit, eh?<br />
Ich will nicht, sagte Dario. Meine Eltern zwingen mich dazu.<br />
Sag’s deinen Eltern, das bringt nix. Was soll das auch mit dem Lesen, eh? Das ist<br />
doch Lug <strong>und</strong> Trug! Und um rechnen zu lernen, braucht man nicht die Schule. Man<br />
braucht einfach nur Geld. Erst wenn man Geld hat, lernt man richtig rechnen. Je<br />
mehr du davon hast, desto mehr musst du rechnen! Bei den Gagi wie bei den<br />
Dritti ist es so! Die Fumagallis mit ihrer Achterbahn können gut rechnen, die<br />
Boldrinis, die Brambillas, ja, alle Besitzer von Großkotzkarussellen können gut<br />
rechnen. Und warum? Weil sie Geld haben, in Massen!