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Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

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Emotionen <strong>und</strong> <strong>Sprache</strong> in Printmedien 207<br />

Der Artikel 9 deckt manche bislang unbekannten Seiten des berühmt-berüchtigten<br />

Falls Josef Fritzl auf <strong>und</strong> ist am 01. Mai 2009 erschienen – eine Woche nach Bekanntgabe<br />

der Vorkommnisse an die Öffentlichkeit. Er ist ausgeprägt expressiv, da<br />

der behandelte Sachverhalt äußerst emotionell aufgeladen ist <strong>und</strong> durch seine<br />

Grausamkeit <strong>und</strong> Brutalität das Interesse des breiten Publikums lange Zeit gefesselt<br />

hat. Das Ereignis selbst – die 24-jährige Gefangenschaft der eigenen Tochter,<br />

deren sexueller Missbrauch <strong>und</strong> das Erzeugen von sieben Inzestkindern im hauseigenen<br />

Keller – birgt an sich einen hohen Grad an Sensationalität. Daher wurden in<br />

der Gesellschaft viele emotionelle Reaktionen ausgelöst <strong>und</strong> beim breiten Publikum<br />

wurde ein enormer Grad an Betroffenheit erzielt. Obwohl seit Erscheinen des<br />

Artikels über ein Jahr vergangen ist <strong>und</strong> die Öffentlichkeit von ähnlichen Fällen in<br />

anderen Ländern unterrichtet worden ist, hat der Artikel nichts (oder lediglich<br />

sehr wenig) von seiner Expressivität eingebüßt. Dies ist sowohl auf den situativen<br />

Kontext seiner Rezeption (die in unserer Gesellschaft vorherrschende Vorstellung<br />

von normalen Lebensumständen, Menschenrechten <strong>und</strong> Eltern-Kind-Beziehungen)<br />

zurückzuführen als auch auf die Subjektivität der Wahrnehmung (die Betroffenheit<br />

der Leser als Mitglieder dieser Gesellschaft) <strong>und</strong> auf den enormen Grad an<br />

Unerwartbarkeit bei Ereignissen solcher Art. Sie scheinen konstant geblieben zu<br />

sein.<br />

Der im Artikel verwendete Wortschatz ist allzu ausdrucksvoll für ein Medium<br />

wie Der Spiegel (auch wenn es sich hier um die Online-Ausgabe handelt, welche<br />

durch einen wesentlich lockereren Stil im Vergleich zur Printausgabe charakterisiert<br />

ist). Eine mögliche Erklärung für diese Tatsache ist in der Sensationalität des<br />

Falls <strong>und</strong> dessen eigener emotionellen Beladenheit zu suchen. Schwer fällt es daher<br />

auch die Textsorte zu bestimmen, denn der Text weist sowohl viele Charakteristika<br />

des Berichts als auch solche des Kommentars auf. 10 Der gesteigerte Grad an Emotionalität<br />

in diesem Artikel wird vor allem durch die äußerst expressive Wortwahl<br />

erzielt – die Verwendung von prägnanten <strong>und</strong> aussagekräftigen Lexemen <strong>und</strong><br />

Lexemkombinationen geht einher mit dem Verlassen des Usus des sachlichen <strong>und</strong><br />

neutralen (Journalisten-)Stils.<br />

Die Überschrift fällt durch ihre im Vergleich zum übrigen Text unterschiedliche<br />

farbliche Gestaltung (in Orange) auf, was zwar zum Layout der Spiegel-<br />

Online-Zeitschrift gehört, dennoch aber eine aufmerksamkeitslenkende Funktion<br />

inne hat. Verwendet wird ein expressives Zitat von Josef Fritzl, mit dem er seine<br />

Tat zu rechtfertigen versuchte: „Ich hab’ es eigentlich gut gemeint“ löst an erster Stelle<br />

Überraschung beim Lesenden aus, denn eine derartig böse, die Menschenrechte<br />

<strong>und</strong> die Menschenwürde verletzende Tat kann nicht mit guten Absichten verb<strong>und</strong>en<br />

sein. Die Palette der geweckten Emotionen ist breit <strong>und</strong> reicht von Spott <strong>und</strong><br />

Erregung über Neugier, Verw<strong>und</strong>erung <strong>und</strong> Interesse bis hin zu Verachtung <strong>und</strong><br />

9 http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,550937,00.html (Zugriff am 24.03.2009, siehe auch<br />

Anhang.)<br />

10 Deshalb wird im Rahmen vorliegenden Beitrags die neutrale Bezeichnung „Artikel“ bevorzugt.

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