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Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

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170<br />

Maja Tcholadze<br />

sem Jahre 1802-03 steht er unter dem Eindruck von Stolbergs Aischylos-<br />

Übersetzungen. Der Wechsel der griechischen Chorlieder war ihm auch durch<br />

Humboldt bekannt“, betont Kayser (ebd.). Es ergeben sich drei Sprachschichten:<br />

Die Hauptfiguren sprechen fast immer im Blankvers, der Chor spricht in wechselnden<br />

Versmaßen, in wilden <strong>und</strong> in lyrischen kunstvoll gebauten Versen. Schillers<br />

Plan war eine offensichtliche Annäherung an die Oper. „Er [Schiller] denkt bei<br />

den lyrischen Intermezzi des betrachtenden Chors an Rezitation mit Musikbegleitung,<br />

an eine Art Sprechgangs, wie wir ihn etwa aus den Passionen Bachs kennen“<br />

(ebd.: 106). Zwar war Schiller in diesem Drama auf einem überraschend neuen<br />

Wege, das Drama nicht mehr vom Geschehen, von der Situation her, sondern vom<br />

Verse aus zu konzipieren, aber dieses Bemühen des späten Schiller um den Vers<br />

blieb ohne Nachfolge.<br />

Das nächste Meisterwerk von Schiller, dem Thomas Mann fast die höchste<br />

Einschätzung unter den anderen Dramen gab, war Wilhelm Tell. Es war ein Werk,<br />

das die Bühnen von Deutschland wirklich erschütterte. An Iffland schrieb Schiller,<br />

dass er mit diesem Drama den Leuten den Kopf warm zu machen gedenke. Der<br />

Volksdichter Schiller stand vor der Wahl: „[…] Entweder sich ausschließend der<br />

Fassungskraft des großen Haufens zu bequemen <strong>und</strong> auf den Beifall der gebildeten<br />

Klasse Verzicht zu tun, oder den ungeheuren Abstand, der zwischen beiden sich<br />

befindet durch die Größe seiner Kunst aufzuheben <strong>und</strong> beide Zwecke vereinigt zu<br />

verfolgen.“ Schiller hat sich für das „Allerschwerste“ entschieden. Thomas Mann<br />

war begeistert von Schillers Kraft, mit der er die Aufhebung der Kulturunterschiede<br />

durch die Kunst vollbrachte. Doch scheint Thomas Mann unzufrieden zu sein,<br />

weil Schiller, dieser große Deutsche, seinem eigenen Volk kein richtiges Drama<br />

gewidmet hat. Fast alle seine großen Helden, die für die Freiheit ihres Landes<br />

kämpfen, gehören anderen Völkern an.<br />

Dieser große Deutsche hat dem eigenen Volk kein nationales Freiheitsdrama gedichtet,<br />

er hat ihm die Fähigkeit, zur Nation sich zu bilden, abgesprochen <strong>und</strong> seinen<br />

Deutschen anempfohlen, dafür desto reiner zu Menschen sich auszubilden. Das<br />

meint nun freilich nichts weniger als Geringschätzung, denn allmenschliche Repräsentanz<br />

geht über formale Geschlossenheit im Nationalen, <strong>und</strong> das Verwickelte an der<br />

Sache ist, daß seinem Volk die Berufenheit zu solcher Repräsentanz zu verkünden;<br />

ihm zu sagen, er sei erwählt vom Weltgeiste, [...] seine <strong>Sprache</strong> [... werde] die <strong>Sprache</strong><br />

der Welt sein, - dass dies auch Nationalismus ist. (Mann 1955: Bd. 10, 770)<br />

Mit Wilhelm Tell gewann Friedrich Schiller die allergrößte Popularität. Er war beliebt<br />

sowohl unter den einfachen Menschen als auch unter den Kennern der <strong>Literatur</strong>.<br />

Das nannte Thomas Mann „vollendete Popularität“, <strong>und</strong> diese war für ihn so<br />

bedeutend, weil diese Popularität nichts von der „doppelten Optik“ hatte, „die<br />

Nietzsche als eine Art von Schläue an Wagners Kunst degoutierte“ (ebd.: 767).<br />

Thomas Mann scheint tendenziös zu sein in der Unterscheidung von „doppelter<br />

Optik“ bei Wagner <strong>und</strong> bei Schiller. Hans Mayer deutet Nietzsches Einschätzung<br />

in seinem Buch Thomas Mann folgendermaßen: „Nietzsche hatte von Richard

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