Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen
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Mit Blick auf die Ferne sich selbst zu widerfahren 157<br />
repräsentativ für das Verhältnis der Polen gegenüber den Deutschen sind, fertig zu<br />
werden. Und das Schreiben, das Benennen des bisher nur Gedachten bedeutet,<br />
sich der eigenen Vorurteile bewusst zu werden <strong>und</strong> sich diesen auch zu stellen.<br />
„Ich mußte Distanz zu den sowjetischen <strong>und</strong> polnischen Kriegsfilmen gewinnen.<br />
Mußte meine Kindheit aufgeben. Mußte auf all diese schönen Flüche verzichten:<br />
‚Hände hoch, raus, polnische Schweine!‘, die wir als Siebenjährige auf dem Hof<br />
benutzten <strong>und</strong> uns damit die Gr<strong>und</strong>lagen der deutschen <strong>Sprache</strong> aneigneten.“ (Stasiuk:<br />
27) Stasiuk spricht in dieser Hinsicht von Reflexen, die unsere Reaktionen<br />
unbewusst <strong>und</strong> doch so sicher hervorrufen. Zu solchen polnischen Reflexen gehört<br />
das Bild eines bösen Deutschen, mal im Umhang eines Kreuzritters, mal in<br />
der SS-Uniform auf alle anderen Deutsche zwangsläufig projiziert wird. Diese Reflexe<br />
werden wiederum von den nicht bewältigten Ängsten <strong>und</strong> Komplexen eines<br />
potentiellen Opfers aufrechterhalten. Andrzej Stasiuk hat selbst auf einer seiner<br />
Lesungen 2 gesagt, „Dojczland“ sei vor allem eine höchst selbstironische Beschreibung<br />
der polnischen, aber auch teilweise der deutschen Komplexe, es sei eine Erzählung<br />
darüber, wie das Polentum auf das Deutschtum reagiert, <strong>und</strong> auch über<br />
einen gewissen Bruch zwischen dem Osten <strong>und</strong> dem Westen. Auf die Frage nach<br />
dem Stellenwert der Stereotype in seinem Buch, antwortete der Schriftsteller, dass<br />
er in seinem Buch durch das Zeigen <strong>und</strong> die Bewusstmachung der Stereotype diese<br />
relativieren, anzweifeln <strong>und</strong> nicht zuletzt auslachen wollte: „Dojczland“ als Produkt<br />
einer Katharsis sowohl für den Autor selbst als auch für seine Leser.<br />
„Dojczland“ ist zweifelsohne eine sehr mutige Stimme im deutsch-polnischen<br />
Diskurs, die mit ihrem für viele ungemütlichen <strong>und</strong> doch unüberhörbaren Klang<br />
daran erinnert, dass erst eine Auseinandersetzung mit den immer noch in den<br />
Köpfen präsenten Ängsten <strong>und</strong> Vorurteilen eine geeignete Ausgangsbasis zum<br />
gegenseitigen Verständnis, einer positiven Interaktion sein kann, während das Verschweigen<br />
der bereits vorhandenen Probleme sie nicht nur konserviert, sondern<br />
auch zusätzlich verstärkt.<br />
Anstelle einer Zusammenfassung<br />
Andrzej Stasiuk, Olga Tokarczuk <strong>und</strong> Paweł Huelle sind mit ihren Interessenkreisen<br />
<strong>und</strong> ihrer sprachlichen Gestaltung tragende Vertreter der zeitgenössischen<br />
polnischen <strong>Literatur</strong>, <strong>und</strong> gerade weil sie sich jeweils einer ganz anderen Art literarischer<br />
Stilistik bedienen <strong>und</strong> ihre Erzählwelten unabhängig voneinander existieren,<br />
wirkt das vorhandene gemeinsame Interesse für die Thematisierung des deutschpolnischen<br />
Sujets in der <strong>Literatur</strong> umso interessanter. Dabei sind es nur drei der<br />
zahlreichen Stimmen, die hier annäherungsweise vorgestellt wurden. Insgesamt ist<br />
im Polen der letzten Jahre eine steigende Tendenz aufzuweisen, sich allmählich<br />
auch auf literarischer Ebene mit der jüngsten Vergangenheit des polnischen Staates<br />
2 Hier beziehe ich mich auf die Lesung <strong>und</strong> das darauf folgende Gespräch mit dem Autor, das am<br />
11.09.2009 in Budapest stattgef<strong>und</strong>en hat.