Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen
Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen
Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
130<br />
„Bilder“. Das Problem der definitorischen Unschärfe<br />
Katerina Kroucheva<br />
Bei den Fremdbildern, die in der imagologischen Forschung untersucht werden,<br />
handelt es sich in der Regel um so genannte Stereotype. Wie die meisten spezifischen<br />
Termini, die im Zusammenhang mit imagologischen Betrachtungen gebräuchlich<br />
sind, hat sich auch dieser nicht endgültig durchgesetzt. Am Umgang mit diesem<br />
gebräuchlichsten <strong>und</strong> scheinbar definitorisch gut abgrenzbaren Terminus soll die<br />
Begriffsverwirrung andeutend umrissen werden, die der Imagologie immer wieder<br />
vorgeworfen wird. 3<br />
Der Begriff „Stereotyp“ stammt aus der Druckersprache, er entstand Ende des<br />
18. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> meinte ursprünglich die Druckerplatte. Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
wurde er in verschiedenen europäischen <strong>Sprache</strong>n im pejorativen Sinne einer standardisierten<br />
Äußerung benutzt. In seinem Buch „The Public Opinion“ (1922) gebrauchte<br />
es der amerikanische Journalist Walter Lippmann erstmals metaphorisch<br />
zur Bezeichnung von kulturell vorgeprägten, vereinfachenden, wertenden „pictures<br />
in our heads“.<br />
Um die Begriffsverwirrung zu umgehen, die in der Folgezeit die Verwendung<br />
des Terminus stets begleitet hat, 4 wurde seitens der Sozialpsychologie der Vorschlag<br />
gemacht, den Unterschied zwischen „Vorurteil“ <strong>und</strong> „Stereotyp“ zu verdeutlichen,<br />
indem „Stereotyp“ auf eine kognitive Kategorie bezogen wird, also im<br />
Zusammenhang mit Phänomenen benutzt wird, die im Bereich des Rationalen<br />
angesiedelt sind, „Vorurteil“ hingegen auf eine affektive Kategorie, also bezogen<br />
auf Phänomene, die dem Emotionalen zuzuordnen sind.<br />
Stereotype beruhen, so die Definition von Ruth Florack, auf kollektiven<br />
Wahrnehmungsmustern, die als kollektives „Wissen“ über die Korrelation zwischen<br />
Eigenschaft <strong>und</strong> Gruppenzugehörigkeit dargestellt werden. Stereotype sind,<br />
so Florack weiter, in Texten oder verbalen Äußerungen sprachlich fixiert <strong>und</strong> nicht<br />
auf dem schwer fassbaren Gebiet der „Bilder in unseren Köpfen“ angesiedelt.<br />
Stereotype sind schließlich „starre“, dauerhafte Bilder, das heißt, sie beweisen über<br />
eine bestimmte Zeitspanne eine gewisse Stabilität; zugleich sind sie dennoch teilweise<br />
beweglich. Ein bekanntes Beispiel für die relative Stabilität von Stereotypen<br />
ist das Bild vom Nationalcharakter der Spanier. Bis weit ins 19. Jahrh<strong>und</strong>ert verband<br />
man mit Spanien ein traditionsgeb<strong>und</strong>enes, stolzes Auftreten, im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
hingegen relativ konstant Leidenschaftlichkeit <strong>und</strong> Irrationalität.<br />
Ähnlich komplex ist die Lage auch beim Begriff Klischee in Bezug auf die von<br />
Stereotypenforschern benutzten Funktionen. Unter Klischee versteht man allgemein<br />
eine sinnentleerte, vorgeprägte Äußerung ohne nennenswerten Realitätsge-<br />
3 Eine sehr hilfreiche Einführung in die Begriffsgeschichte bietet Ruth Florack in: ‚Stereotyp, Klischee,<br />
Vorurteil’, in: Ruth Florack, Tiefsinnige Deutsche, frivole Franzosen. Nationale Stereotype in <strong>deutscher</strong> <strong>und</strong> französischer<br />
<strong>Literatur</strong>, Stuttgart, Weimar 2001, S. 9-16.<br />
4 Ein Problem besteht etwa darin, dass in der Umgangssprache „Stereotyp“ nicht selten gleichbedeutend<br />
mit „Vorurteil“ verwendet wird. „Stereotyp“ wird zudem immer wieder mit „Klischee“ gleichgesetzt <strong>und</strong><br />
„Klischee“ wiederum mit „Bild“; <strong>und</strong> schließlich definiert Lippmann „Stereotyp“ als „eine bestimmte Art<br />
von Bild“.