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Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

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Mit Blick auf die Ferne sich selbst zu widerfahren 155<br />

(Tokarczuk: 192) So konnten zwar die zurückgelassenen deutschen Bücher „niemanden<br />

mehr überzeugen, denn die Welt war zu einer anderen <strong>Sprache</strong> übergegangen“<br />

(Tokarczuk: 262), dennoch ist das Vermächtnis einer in der Vergangenheit<br />

zurückgelassenen <strong>Sprache</strong> von enormer Bedeutung für das Heimatkonstrukt<br />

bei Tokarczuk.<br />

Insgesamt ist „Taghaus Nachthaus“ eine melancholische Reise in die Mehrschichtigkeit<br />

des eigenen Daseins, das wiederum von einem Ort mit seiner Vergangenheit<br />

geprägt wird. Damit wird eine vorgestellte Teilung in das Eigene <strong>und</strong><br />

Fremde durch die Aufnahme aller beider in uns aufgehoben.<br />

Andrzej Stasiuk „Dojczland“<br />

Es ist nicht allzu schwer zu erraten, dass unter der Dojczland Formulierung<br />

Deutschland zu verstehen ist. Das Wort Deutschland darf allerdings laut dem<br />

Wörterbuch ins Polnische nur mit Niemcy übersetzt werden. Dojczland dagegen ist<br />

kein äquivalenter Begriff <strong>und</strong> bezeichnet ein Deutschland, so wie ein Pole es mit<br />

seinem erlernten Verständnis für Laute aufnehmen <strong>und</strong> es folgend schriftlich festhalten<br />

würde. Dojczland ist also Deutschland aus der polnischen, slawischen Perspektive<br />

des Erzählers. Diese Perspektive ist eine Art Linse, durch die der Autor<br />

das westliche Nachbarland rezipiert.<br />

Der Erzähler Stasiuk, der sich selbst als „wandernder Gastarbeiter“ (Stasiuk<br />

2008: 26) bezeichnet, sammelt in dem Buch Reflexionen <strong>und</strong> Beobachtungen, die<br />

er während seiner über zwanzig Jahre hinweg quer durch Deutschland unternommenen<br />

Reisen als ausländischer Schriftsteller gemacht hat. Seine Konfrontation mit<br />

dem Land <strong>und</strong> seinen Einwohnern ist die eines 1960 geborenen Polen, der mit den<br />

Erzählungen über die Gräuel des zweiten Weltkrieges aufgewachsen ist <strong>und</strong> der<br />

gleichzeitig den Fall des eisernen Vorhangs <strong>und</strong> die danach folgende Konsolidierung<br />

Europas miterlebt hat. So ist „Dojczland“ nicht nur ein sehr subjektives, sondern<br />

oft zwiespältiges Bild des Nachbarlandes, in dem sich Faszination mit Zurückhaltung,<br />

Interesse mit Ängsten vermischt. „Die Mehrheit wird mir das übelnehmen,<br />

aber ich bleibe dabei. Deutschland, das ist Amerika auf etwas langsameren<br />

Touren. Amerikaner, die ihren Luther hatten <strong>und</strong> sich deshalb nicht einbilden,<br />

sie wären gestern auf die Welt gekommen. Amerikaner, die ihren Hitler hatten <strong>und</strong><br />

deshalb nicht mehr so naßforsch sind.“ (Stasiuk: 44) Zugleich ist das Buch aber<br />

auch ein nach innen gerichteter Reisebericht, der auf die Gefühls- <strong>und</strong> Gedankenwelt<br />

des reisenden Erzählers Bezug nimmt, sich mit ihnen auseinandersetzt. „Machen<br />

wir uns da nichts vor. Das ist immerhin ein Trauma. Es betrifft Spargelzuchtspezialisten<br />

<strong>und</strong> Schriftsteller gleichermaßen. Man kann nicht einfach mal locker<br />

nach Deutschland fahren. So wie zum Beispiel nach Monaco, Portugal oder nach<br />

Ungarn. Nach Deutschland fahren, das ist Psychoanalyse.“ (Stasiuk: 25)<br />

Das kleine Büchlein des polnischen Autors hat für große Aufregung gesorgt,<br />

denn es beinhaltet fast keine Seite, auf der der Leser nicht wenigstens mit einer

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