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Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen

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Zur Syntax des deutschen Gedichts 105<br />

Sie sind kreuzweise gereimt: abab cdcd, die Terzette eef ggf. Etwas Willkürliches hat<br />

das Überspringen des Vers- <strong>und</strong> Strophenendes im Enjambement, wodurch manche<br />

Zeilen (Z. 2-3, 3-4, 9-10, 10-11, 13-14), in denen Vers <strong>und</strong> Satz (oder Satzteil)<br />

nicht identisch sind, miteinander verknüpft werden. Die größten Freiheiten nimmt<br />

sich Rilke in der Behandlung des Metrums. 7 In diesem Gedicht kann nicht von<br />

einem streng eingehaltenen, sondern nur von einem vorwiegenden Metrum – Daktylus<br />

– die Rede sein. Das Sonett endet sowohl auf männliche als auch weibliche<br />

Kadenzen. Das durchschnittliche Ausmaß des Verses beträgt 6,6 Wörter.<br />

Syntaktisch ist das Sonett aus insgesamt sieben Ganzsätzen aufgebaut: aus<br />

sechs komplexen Sätzen mit zwei Teilsätzen <strong>und</strong> einem isolierten einfachen Satz<br />

im ersten Quartett. Die parataktischen <strong>und</strong> hypotaktischen Strukturen kommen bei<br />

Rilke in gleicher Zahl vor: je dreimal.<br />

Das erste Quartett, das das Thema vermittelt, bilden zwei parataktische Strukturen<br />

aus zwei Teilsätzen <strong>und</strong> ein isolierter einfacher Satz. Der Einleitungssatz des<br />

Gedichtes ist eine Parataxe, die nur die Hälfte der ersten Strophenzeile einnimmt.<br />

Sie besteht aus einem Nominalsatz mit der kommunikativen Funktion des Ausrufes<br />

<strong>und</strong> einem Verbalsatz. Im Inneren des ersten Verses fängt ein isolierter einfacher<br />

Satz an, der die nächsten drei Zeilen einnimmt, der durch wortwörtliche Wiederholung<br />

Rühmen mit dem vorausgehenden Satz verb<strong>und</strong>en ist. Er besitzt eine<br />

erzählende Kommunikation. Die erste Strophe schließt eine parataktische Struktur,<br />

die aus zwei nominalen Teilsätzen mit Nenn- bzw. Ausrufefunktion gebildet ist.<br />

Die zwei Enjambements in den Zeilen 2 <strong>und</strong> 3 zerstören einerseits deren Einheit,<br />

dienen aber gleichzeitig der Anbindung.<br />

Das zweite Quartett, in dem das Thema weiterentwickelt wird, enthält eine<br />

Hypotaxe mit dem Konditionalsatz in der Post-Position <strong>und</strong> eine Parataxe aus<br />

zwei asyndetisch gereihten Verbalsätzen mit gleichem Subjekt, die Erzählfunktion<br />

haben. Die Anfangsstellung im Quartett nimmt die Negation Nicht ein, die dadurch<br />

eine besondere Hervorhebung erfährt. Somit liegt hier die Inversion vor (Glinz<br />

1957: 182).<br />

Die beiden Strophen des Sextetts sind von zwei Hypotaxen gefüllt: das erste<br />

Terzett von der Hypotaxe mit dem weiterführenden Nebensatz, das zweite von der<br />

mit dem Attributsatz. Beide Nebensätze sind postpositiv. Durch die anaphorische<br />

Wiederholung der Negationen Nie im zweiten Quartett <strong>und</strong> Nicht im ersten Terzett<br />

erfahren sie eine Bedeutungsintensivierung. Die beiden negativen Sätze verbinden<br />

das Oktett <strong>und</strong> Sextett inhaltlich durch die Wiederholung <strong>und</strong> strukturell durch<br />

den Parallelismus besonders eng. Einheit im Gedicht bewirkt schließlich das dicht<br />

gewebte Netz von variierten Wiederholungen in allen Strophen, die ‚intensivierende’<br />

Wirkung haben: Rühmen, zum Rühmen, die Rühmung, rühmlichen sowie von Wör-<br />

7 „Im metrischen Bereich finden sich nicht nur zahlreiche Auflockerungen (unterschiedliche Zahlen<br />

<strong>und</strong> Arten von Versfüßen im gleichen Gedicht), sondern vor allem ein im Sonett höchst ungewöhnlicher,<br />

im Verlauf des Zyklus zunehmender Gebrauch von dreisilbigen, meist daktylischen Versfüßen.<br />

Mitunter entstehen so Annäherungen an hexametrische <strong>und</strong> pentametrische Formen.“ (Engel 2004:<br />

422).

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