Kulturelle Vielfalt deutscher Literatur, Sprache und ... - SUB Göttingen
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Maja Tcholadze<br />
lation sei, dass Thomas Mann von Schiller-Klischees des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts stark<br />
beeindruckt war, dass Schillers Genialität, Einsamkeit <strong>und</strong> Armut nur Legende <strong>und</strong><br />
Thomas Manns Schiller-Bild nur ein Missverständnis war (Koopmann 1999: Bd.<br />
12, 113-131), aber ein solches Bild wird durch die starke Reduktion fragwürdig.<br />
Wie Thomas Mann selbstironisch gesagt hat, war es schwer, Neues über Schiller zu<br />
sagen: „Aber sagen Sie einmal Neues über Schiller! Man kann dem längst Gesagten<br />
nur etwas persönliche Erfahrung <strong>und</strong> Farbe mitgeben“ (zit. nach ebd.: 117). Genau<br />
der Kontext war neu, <strong>und</strong> er hat dem alten Inhalt neue Bedeutung gegeben. Im<br />
Jahre 1955 stand Thomas Mann zum ersten Mal wieder vor dem deutschen Publikum<br />
nach seinem amerikanischen Exil. Zehn Jahre nach dem zweiten Weltkrieg<br />
sprach dieser deutsche Intellektuelle mit großem Verantwortungsgefühl über die<br />
Zukunft des deutschen Volkes. Der Essay schildert ein wichtiges Problem seines<br />
Schaffens – den Aspekt der gesellschaftlichen Verpflichtung <strong>und</strong> allgemeinen der<br />
Verantwortung des Künstlers. Schiller sei für ihn der Anführer im seelischen<br />
Kampf für die Veredelung der deutschen Nation. Thomas Mann ist am Ende seiner<br />
Rede ganz klar <strong>und</strong> präzise in seinem Wunsch, sein Land wieder einig zu sehen,<br />
<strong>und</strong> es sei Friedrich Schiller, der das schon einmal geschafft habe, als sein<br />
h<strong>und</strong>ertster Geburtstag begangen wurde <strong>und</strong> „ein Sturm der Begeisterung [hob]<br />
Deutschland einigend auf. Damals bot sich, so heißt es, der Welt ein Schauspiel,<br />
das die Geschichte noch nicht kannte: das immer zerrissene deutsche Volk in geschlossener<br />
Einheit durch ihn, seinen Dichter.“ Auch der 150. Geburtstag Schillers<br />
solle solch ein Fest sein: „Entgegen politischer Unnatur fühle das zweigeteilte<br />
Deutschland sich eins in seinem Namen“ (Mann 1955: Bd. 10, 798). Thomas<br />
Manns Wunsch ging viele Jahre nach seinem Tod in Erfüllung, nicht im Zeichen<br />
Schillers, aber im Geist seines freiheitlichen Denkens.<br />
<strong>Literatur</strong>angaben<br />
Kayser, Wolfgang (1991): Geschichte des deutschen Verses. Tübingen: Franke Verlag.<br />
Koopmann, Helmut (1999): „Thomas Manns Schiller-Bilder – Lebenslange<br />
Mißverständnisse?“, in: Thomas Mann Jahrbuch. Hrsg. von Eckhard Heftrich<br />
<strong>und</strong> Thomas Sprecher unter Mitarbeit von Rupert Wimmer. Frankfurt am<br />
Main: Vittorio Klostermann, Bd. 12, S. 117.<br />
Mann, Thomas (1955): Gesammelte Werke. Berlin: Aufbau-Verlag.<br />
Ders. (1995): Essays. Nach den Erstdrucken, textkritisch durchgesehen, kommentiert <strong>und</strong><br />
herausgegeben von Hermann Kurzke <strong>und</strong> Stephan Stachorski. Frankfurt am Main: S.<br />
Fischer.<br />
Mayer, Hans (1980): Thomas Mann. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.