Kostenloser Download als PDF - Theologische Hochschule ...
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PARALLELABSCHNITTE IM NEUEN TESTAMENT<br />
Während wir auf das Essen warteten und uns derweil unterhielten, ging die<br />
Neugierde mit mir durch, und ich lenkte das Gespräch auf die Predigt. Ich fragte, wie<br />
man auf meine Predigt reagiert habe. Das war eine ziemlich dreiste Frage. Er faßte<br />
sie aber positiv auf. Da seine Antwort möglicherweise aus Höflichkeit ein etwas<br />
verzerrtes Bild ergeben konnte, achtete ich auf irgendwelche Zeichen der<br />
Unbehaglichkeit. Aber nichts ließ sich feststellen, und so erzählte ich, weshalb ich<br />
diese Predigt gehalten hatte, und erklärte, was ich im geistlichen wie auch im<br />
erzieherischen Sinn damit erreichen wollte. Dabei erwähnte ich auch die negative<br />
Reaktion jener amerikanischen Studenten auf die unterschiedliche Beschriftung des<br />
Kreuzes.<br />
Seine Augen wurden groß. „Du meinst <strong>als</strong>o, da gäbe es Unterschiede?,“ fragte er. Ich<br />
war erstaunt, hatte ich doch einen Mann mit einer Predigerausbildung vor mir, der<br />
mit dem synoptischen Problem offenbar nie vertraut gemacht worden war. Er griff<br />
nach seiner Bibel, und wir hatten zusammen eine „Bibelstunde“, noch ehe das Essen<br />
aufgetragen wurde. Als frommer Mensch, gefestigt in christlicher Erfahrung, konnte<br />
er den Tatsachen ins Gesicht schauen und sein Lächeln behalten. „Wirklich<br />
erstaunlich,“ sagte er, „ich habe das nie so gesehen.“ Dann wurde zu Tisch gerufen.<br />
Es war unvermeidlich, daß die Diskussion über die synoptischen Evangelien<br />
während des Essens fortgesetzt wurde. Schließlich war die ganze Familie über das<br />
Ergebnis unseres Bibelstudiums informiert. Während des Essens wollte unser Bruder<br />
von einem Ereignis erzählen, das sich in seiner Familie zugetragen hatte. „Vor zwei<br />
Wochen,“ so begann er, wurde aber von seiner Frau sanft unterbrochen. „Es war vor<br />
drei Wochen, Liebling,“ sagte sie.<br />
Schelmisch lächelnd blickte er zu mir herüber; er konnte es nicht unterdrücken:<br />
„Das ist ein synoptisches Problem, nicht wahr?“ Ich traute meinen Ohren nicht, <strong>als</strong><br />
ich das Gelächter der gesamten Tischrunde hörte.<br />
Als es ruhiger geworden war, dachte ich laut darüber nach, was hier geschehen<br />
war. Keiner war zornig geworden; keiner zweifelte daran, daß es sich um ein<br />
wirkliches Ereignis handelte. Ob es vor zwei oder vor drei Wochen gewesen war,<br />
spielte in diesem Fall keine Rolle. Wäre es nicht wunderbar, wenn wir die Heilige<br />
Schrift ebenso unvoreingenommen lesen und dankbar in uns aufnehmen könnten?<br />
Ich fand volle Zustimmung.<br />
Diese Geschichte habe ich oft erzählt und viel darüber nachgedacht. Dabei bin ich<br />
mir bewußt, daß ich zuweilen nach zwei Richtungen hin argumentiere. Einerseits<br />
möchte ich sagen, daß manche der in der Schrift vorhandenen Differenzen ganz<br />
nebensächlich sind und einfach mit der unvollkommenen menschlichen Natur<br />
zusammenhängen. Andererseits möchte ich zeigen, daß gewisse Abweichungen ganz<br />
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