Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik
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Anhörung Bayerischer Landtag · 15. Wahlperiode<br />
82. S0, 27. 09. 2007 Wortprotokoll – vom Redner nicht autorisiert<br />
habe immer wieder den Eindruck, dass die politischen<br />
Entscheidungsträger keine Erfahrungen mit der Komplexität<br />
der Bildungs-, Erziehungs- <strong>und</strong> Betreuungsprozesse<br />
in den Tageseinrichtungen haben. Deshalb<br />
möchte ich Ihnen eine kurze Schilderung einer Tagessequenz<br />
aus einer Tageseinrichtung in Bayern geben.<br />
Für Bildungsarbeit muss es Vorüberlegungen geben,<br />
beispielsweise <strong>für</strong> die Freispielzeit unter Berücksichtigung<br />
des Bildungs- <strong>und</strong> Erziehungsplans. Meine sind<br />
wie folgt:<br />
– Sibel (3,5 Jahre): Sismik-Bogen zur Sprachstandserhebung<br />
durchführen<br />
– Beobachtung der Interaktion in der Gruppe als Voraussetzung<br />
<strong>für</strong> die Planung weiterer zukünftiger Bildungsangebote<br />
mit Sebastian, Daniel <strong>und</strong> Stefan<br />
– Angebot der Wiederholung der naturwissenschaftlichen<br />
Experimente mit Feuer vom Vortag <strong>für</strong> die Vorschulkinder<br />
im Sinne der Ko-Konstruktion (Eine Weiterentwicklung<br />
ist geplant.)<br />
– Beobachtung von Steven in Bezug auf die Handigkeit<br />
– Gestaltung eines Fensterschmucks zur Förderung<br />
der ästhetischen, kreativen <strong>und</strong> feinmotorischen Fähigkeiten<br />
– Konzentrationsförderung mit anderen weiteren Kindern<br />
– Ein Kind, von Behinderung bedroht, ist in die Kleingruppen<br />
zu integrieren.<br />
Morgens um 8.30 Uhr in einem bayerischen Kindergarten:<br />
– 25Kinder sind anwesend.<br />
– Alter:2,5 bis sechs Jahre<br />
– Freispielzeit,das heißt, die Kinder wählen in der Regel<br />
ihr Spielmaterial <strong>und</strong> ihren Spielplatz im Gruppenraum<br />
selbst aus.<br />
– anwesend:die Leiterin – Erzieherin – <strong>und</strong> die Ergänzungskraft<br />
Ich fördere die Konzentration von Tobias <strong>und</strong> Stefanie<br />
mit Minilük. Zur selben Zeit beobachte ich Antonia, die<br />
sich Geometriematerial wählt <strong>und</strong> es umgehend aber<br />
wieder wegräumt. Eine Mutter steht in der Tür <strong>und</strong><br />
möchte die Buchungszeit kurzfristig zum nächsten<br />
Monat ändern. Ich verlasse den Gruppenraum, begleite<br />
sie ins Büro <strong>und</strong> erläutere Kosten, Fristen, Modalitäten<br />
<strong>und</strong> lasse die Buchungsänderung unterschreiben.<br />
Die Kinderpflegerin hat den weinenden Adrian auf den<br />
Beinen <strong>und</strong> tröstet ihn. Kerim, nicht deutschsprachig,<br />
beginnt zu weinen, nässt ein <strong>und</strong> steht in einer Pfütze.<br />
Die Kinderpflegerin wechselt die Wäsche. Ich verlasse<br />
den Gruppenraum, um Reinigungsmittel zu holen, be-<br />
gegne einer Mutter <strong>und</strong> erinnere diese an die noch ausstehenden<br />
Elternbeiträge <strong>für</strong> die vergangenen zwei<br />
Monate. Julian, 2,5 Jahre, wirft die Bügelperlen herunter.<br />
Die Kinderpflegerin ermuntert die anderen Kinder zu<br />
helfen. Drei der zukünftigen Schulanfänger möchten –<br />
wie vereinbart – die Experimente wiederholen.<br />
Das Telefon läutet. Ich verlasse den Gruppenraum. Am<br />
Apparat ist eine Mutter, die mir mitteilt, dass ihre Kinder<br />
in der vergangenen Nacht kaum geschlafen haben. Vereinbarung:<br />
Elterngespräch am Nachmittag.<br />
Zurück im Gruppenraum: Anton, 4,2 Jahre, zerstört im<br />
Vorbeigehen die Holzbahnanlage, worauf sich die Kindergruppe<br />
lautstark beschwert, was mich veranlasst,<br />
die Kinder bei der Problemlösung zu beobachten <strong>und</strong><br />
zu unterstützen. Emma möchte die Puppe angezogen<br />
haben; die Kinderpflegerin hilft ihr, es selbst zu tun. Ich<br />
gebe Hilfestellung beim Gestalten des Fensterschmucks.<br />
Das Telefon läutet. Ich verlasse den Gruppenraum. Das<br />
Landratsamt bittet um Mitteilung der Anzahl der schulpflichtigen<br />
Kinder <strong>für</strong> 2008/2009. Der Fachdienst der<br />
Frühförderung kommt ins Haus, Übergabe der betreffenden<br />
Kinder, kurzes Gespräch wegen Terminplanung,<br />
kurzer Austausch zum beobachteten Entwicklungsverlauf<br />
<strong>und</strong> so weiter <strong>und</strong> so weiter. Dazwischen fällt noch<br />
die Teekanne auf dem Tisch um <strong>und</strong> die Personalstelle<br />
in der Gesamtkirchenverwaltung fragt nach der Krankmeldung<br />
einer Mitarbeiterin.<br />
Statt meiner Beobachtung notiere ich in meiner Reflexion<br />
nur noch spontane Wahrnehmungen. Ich konnte<br />
Bildungsangebote, Experimente <strong>und</strong> den Sismikbogen<br />
nicht oder nur zum Teil realisieren. Ein kontinuierliches<br />
<strong>und</strong> professionelles Begleiten <strong>und</strong> Unterstützen der<br />
Kinder in den Interaktions- <strong>und</strong> Bildungsprozessen in<br />
der Einrichtung in Verbindung mit einem k<strong>und</strong>enorientierten<br />
Handeln, wie es von einem Dienstleistungsunternehmen<br />
wie einer Kita gefordert wird, ist mit der derzeitigen<br />
personellen Ausstattung nicht zu bewältigen. Die<br />
Grenzen einer weiteren Prozessoptimierung sind meiner<br />
Ansicht nach <strong>und</strong> der meiner Kolleginnen erreicht.<br />
Ich muss in Bezug auf die Qualifikation, in Bezug auf<br />
Managementaufgaben auch sagen: Ich habe eine Weiterbildung<br />
zur Fachwirtin im <strong>Sozial</strong>- <strong>und</strong> <strong>Ges<strong>und</strong>heits</strong>wesen<br />
absolviert, bin Betriebswirtin (IHK) <strong>und</strong> weiß<br />
nicht, wie ich die pädagogische Arbeit zu 100 % <strong>und</strong> die<br />
Managementaufgaben zu 100 % bewältigen soll. Und<br />
meinen Kolleginnen geht es nicht anders. Wenn die politischen<br />
Entscheidungsträger Interesse an einer realen<br />
Umsetzung des BEP haben, muss eine entsprechende<br />
Anzahl qualifizierten Personals zur Verfügung stehen, –<br />
mindestens 1:10– , <strong>und</strong> die Freistellung der Leiterin <strong>für</strong><br />
diese Managementaufgaben, die nicht nur Verwaltungsaufgaben<br />
sind, geregelt <strong>und</strong> gewährleistet sein.<br />
In einer Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums<br />
<strong>für</strong> Arbeit <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>ordnung, Familie <strong>und</strong> Frauen<br />
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