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Kirchliches Asylrecht und Kirchenasyl im demokratischen Rechtsstaat

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Alleine aus der Tatsache aber, dass die Kirchen keinen rechtsfreien Raum darstellen, zu<br />

folgern, die Gewährung von <strong>Kirchenasyl</strong> sei aus juristischer Sicht illegal, 177 entbehrt jeder<br />

Gr<strong>und</strong>lage. Vielmehr muss die Gewährung von <strong>Kirchenasyl</strong> an verfassungsrechtlichen<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen gemessen werden.<br />

bb) Rechtssicherheit<br />

Rechtssicherheit <strong>und</strong> Durchsetzung(sfähigkeit) unanfechtbarer (letztinstanzlicher)<br />

staatlicher Entscheidungen sind wesentliche Gr<strong>und</strong>sätze des <strong>Rechtsstaat</strong>sprinzips. 178<br />

Objektiv verlangt Rechtssicherheit ein Mindestmaß an Kontinuität des Rechts, subjektiv<br />

in erster Linie Vertrauensschutz. 179 Das Vertrauen der Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger in die<br />

Kontinuität des Rechts ist also ebenfalls schutzwürdig.<br />

Dem Interesse des Staates an der Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung könnte<br />

gegenüber der Glaubens- <strong>und</strong> Gewissensfreiheit Vorrang einzuräumen sein. Denn in<br />

<strong>Kirchenasyl</strong>fällen ist zumeist bereits rechtskräftig <strong>und</strong> unanfechtbar entschieden worden,<br />

dass kein Asylanspruch besteht <strong>und</strong> keine Abschiebungshindernisse vorliegen. Die<br />

materielle Einzelfallgerechtigkeit, für die die Glaubens- <strong>und</strong> Gewissensentscheidung der<br />

<strong>Kirchenasyl</strong> Gewährenden einsteht, konkurriert demnach mit dem in der Rechtssicherheit<br />

begründeten Anspruch des Staates, seine auf der Gr<strong>und</strong>lage der Gesetze gefällten<br />

Entscheidungen durchzusetzen. 180 Im Falle des <strong>Kirchenasyl</strong>s geht es allenfalls sek<strong>und</strong>är<br />

darum, das Vertrauen in die Kontinuität des Rechts nicht zu erschüttern. Denn wenn eine<br />

Abschiebung aus dem <strong>Kirchenasyl</strong> nicht erfolgt, obwohl sie eigentlich erfolgen müsste, so<br />

ist der Kreis derjenigen, die vom Unterlassen der sofortigen Abschiebung betroffen sind,<br />

gering. Vorliegend kommt es also lediglich auf die objektive Seite der Rechtssicherheit an,<br />

ein Mindestmaß an Kontinuität des Rechts selbst. Ein solches Mindestmaß an<br />

Rechtskontinuität bleibt jedoch auch dann erhalten, wenn in sämtlichen <strong>Kirchenasyl</strong>fällen<br />

vorläufig auf eine Abschiebung verzichtet wird. Dies verdeutlicht bereits das<br />

Zahlenverhältnis von Abschiebungen <strong>und</strong> <strong>Kirchenasyl</strong>en; letztere machen nur einen<br />

winzigen Bruchteil der Abschiebungen aus der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland aus.<br />

Überdies wird durch das öffentliche <strong>Kirchenasyl</strong> die spätere Durchsetzung der<br />

Ausreisepflicht in keiner Weise beeinträchtigt.<br />

Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist die Idee der Gerechtigkeit wesentlicher<br />

Bestandteil des Gr<strong>und</strong>satzes der <strong>Rechtsstaat</strong>lichkeit. 181 Das gesamte Staatshandeln ist<br />

daher auf das Ziel materieller Gerechtigkeit als Rechtsprinzip verpflichtet, wobei sich die<br />

177 So jedoch May, LThK Bd. 1, Sp. 1119.<br />

178 Vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 20 (<strong>Rechtsstaat</strong>), Rn. 134 mit Nachweisen aus<br />

der Rspr.<br />

179 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 20 (<strong>Rechtsstaat</strong>), Rn. 134 f.<br />

180 Vgl. dazu auch die These 4 der zehn Thesen des Rats der EKD v. 9./10. September 1994, s. KLD-Brief<br />

ausländische Flüchtlinge Nr. 25 v. 20. September 1994, S. 2 <strong>und</strong> Osthövener (Hrsg.), Dokumente zum<br />

kirchlichen Zeitgeschehen, S. 109.<br />

181 BVerfGE 70, 297 ff., 308; BVerfGE 33, 367 ff., 383 m. w. Nachw.<br />

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