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Kirchliches Asylrecht und Kirchenasyl im demokratischen Rechtsstaat

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qualifizierten Mehrheit in B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat. Nach dem in unserer repräsentativen<br />

Demokratie geltenden Mehrheitsprinzip könne daran nicht gerüttelt werden, es sei denn,<br />

es fänden sich die entsprechenden erforderlichen Mehrheiten zur Änderung dieser<br />

Gesetze. Die entscheidende Frage lautet aber auch: „Garantiert die<br />

Mehrheitsentscheidung in einer Demokratie auch die beste, ethisch zu verantwortende<br />

Entscheidung?“ 191 Diese Frage kann mit guten Gründen verneint werden. Wenn dies aber<br />

so ist, dann hat der einzelne die Möglichkeit, nach seinem Gewissen auch gegen die<br />

Mehrheitsentscheidung zu handeln. 192<br />

Die Gewährung des <strong>Kirchenasyl</strong>s an sich stellt jedoch die mit Mehrheit<br />

verabschiedeten Änderungen des Asyl- <strong>und</strong> Ausländerrechts (insbesondere die Reformen<br />

von 1992/1993 mit der Gr<strong>und</strong>gesetzänderung) gar nicht in Frage. Vielmehr sucht man<br />

auf diese Weise Lösungen zu erreichen, die auf dem Boden der geltenden Gesetze <strong>und</strong><br />

der Verfassung gefällt werden. Die <strong>Kirchenasyl</strong> Gewährenden fordern nichts anderes ein<br />

als die Durchsetzung der Rechtsordnung. Aus ihrer Sicht widerspricht die sofortige<br />

Abschiebung der <strong>im</strong> <strong>Kirchenasyl</strong> befindlichen Ausländer der Rechtsordnung.<br />

Hinzu kommt, dass die Gr<strong>und</strong>rechte eine hohe Bedeutung für die Demokratie haben.<br />

Sie gewährleisten <strong>im</strong> wesentlichen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen eines<br />

freien <strong>und</strong> offenen Prozesses der Meinungs- <strong>und</strong> Willensbildung des Volkes. 193 Die<br />

Gr<strong>und</strong>rechte sind also F<strong>und</strong>ament <strong>und</strong> integraler Bestandteil der Demokratie. 194 Die vom<br />

Schutzbereich des Art. 4 GG erfasste Gewährung von <strong>Kirchenasyl</strong> mit ihrer zum Teil<br />

damit verb<strong>und</strong>enen Öffentlichkeitswirkung ist damit selbst Bestandteil des<br />

Demokratieprinzips <strong>und</strong> verstößt nicht dagegen. 195<br />

f) Verstoß gegen die Unabhängigkeit der Gerichte?<br />

Die Gewährung von <strong>Kirchenasyl</strong> nach Erschöpfung des Rechtsweges könnte einen<br />

Verstoß gegen die Unabhängigkeit der Gerichte darstellen. Das Gr<strong>und</strong>gesetz legt großen<br />

Wert auf die Unabhängigkeit der Rechtsprechung <strong>und</strong> versucht diese vor allem auf<br />

zweierlei Weise zu sichern. Zum einen durch das staatliche Rechtsprechungsmonopol<br />

(Art. 92 GG), zum anderen durch die sachliche <strong>und</strong> personelle Unabhängigkeit der<br />

Richter (Art. 97 GG). Richterliche Entscheidungen können nicht durch andere Gewalten<br />

abgeändert oder gar aufgehoben werden (Gr<strong>und</strong>satz der Gewaltenteilung). 196 Die<br />

Gewährung von <strong>Kirchenasyl</strong> zielt jedoch nicht auf unmittelbare Aufhebung der<br />

Gerichtsentscheidung ab; dadurch soll die gerichtliche Entscheidung nicht aufgehoben<br />

191 Pospischil, S. 28.<br />

192 So auch Bayer (S. 258): das Gewissen sei eine höchst individuelle Instanz, die nicht einfach durch das<br />

Mehrheitsprinzip außer Kraft gesetzt werden könne.<br />

193 BVerfGE 44, 125 ff., 139.<br />

194 Vgl. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, Art. 20 (Demokratie), Rn. 74.<br />

195 Im Ergebnis ebenso: Bayer (S. 257 f.).<br />

196 BVerfGE 7, 183 ff., 188.<br />

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