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Kirchliches Asylrecht und Kirchenasyl im demokratischen Rechtsstaat

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a) Die „Ges<strong>und</strong>beter-Entscheidung“ des BVerfG<br />

In seiner „Ges<strong>und</strong>beter-Entscheidung“ 281 vom 19. Oktober 1971 hat das BVerfG die<br />

Ausstrahlungswirkung der Glaubensfreiheit auf die Strafbarkeit entwickelt.<br />

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e:<br />

Der Beschwerdeführer hatte sich der Glaubensgemeinschaft des evangelischen<br />

Brüdervereins angeschlossen, weil er nach seiner Überzeugung durch das Gebet in dieser<br />

Gemeinschaft von einem angeborenen Leiden geheilt worden war. Die Ehefrau des<br />

Beschwerdeführers war ebenfalls überzeugte Anhängerin dieser Gemeinschaft. Bei der<br />

Geburt ihres vierten Kindes in der Nacht zum 25. März 1962 - einer Hausgeburt - schlug<br />

der hinzugezogene Arzt wegen akuten Blutmangels der Frau deren Einweisung in ein<br />

Krankenhaus zum Zwecke einer Bluttransfusion vor. Dabei machte der Arzt deutlich,<br />

dass die Frau ohne eine derartige Behandlung sterben könnte. Der Beschwerdeführer<br />

lehnte die Einweisung ins Krankenhaus mit der Begründung ab, seine Frau werde auch<br />

ohne Krankenhausbehandlung wieder ges<strong>und</strong>, wenn man Gott um Hilfe bitte. Er<br />

unterließ es daher, seinen Einfluss auf seine Ehefrau <strong>im</strong> Sinne der ärztlichen Ratschläge<br />

geltend zu machen. Seine Ehefrau entschied sich gegen die Einweisung ins Krankenhaus<br />

<strong>und</strong> betete mit einem Bruder ihrer Religionsgemeinschaft. Eine Heilbehandlung<br />

unterblieb. Die Ehefrau, die bis zuletzt bei klarem Bewusstsein war, verstarb kurz darauf.<br />

Der Beschwerdeführer wurde infolgedessen wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 330<br />

c StGB zu einer Geldstrafe von 200 DM, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 10<br />

Tagen verurteilt.<br />

Das BVerfG hielt die Verfassungsbeschwerde für begründet <strong>und</strong> hob die Strafurteile<br />

wegen eines Verstoßes gegen Art. 4 Abs. 1 GG auf.<br />

Es sei ausgeschlossen, Betätigungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen, die aus einer best<strong>im</strong>mten<br />

Glaubenshaltung fließen, ohne weiteres den Sanktionen zu unterwerfen, die der Staat für<br />

ein solches Verhalten - unabhängig von seiner glaubensmäßigen Motivierung - vorsehe.<br />

Das BVerfG weiter: 282 „Die Ausstrahlungswirkung des Gr<strong>und</strong>rechts aus Art. 4 Abs. 1<br />

GG kommt hier in der Weise zur Geltung, daß sie Art <strong>und</strong> Maß der zulässigen staatlichen Sanktionen<br />

beeinflussen kann. Für das Strafrecht bedeutet das:<br />

Wer sich in einer konkreten Situation durch seine Glaubensüberzeugung zu einem Tun oder<br />

Unterlassen best<strong>im</strong>men läßt, kann mit den in der Gesellschaft herrschenden sittlichen Anschauungen <strong>und</strong><br />

den auf sie begründeten Rechtspflichten in Konflikt geraten. Verwirklicht er durch dieses Verhalten nach<br />

herkömmlicher Auslegung einen Straftatbestand, so ist <strong>im</strong> Lichte des Art. 4 Abs. 1 GG zu fragen, ob<br />

281 BVerfGE 32, 98 ff.<br />

282 BVerfGE 32, 98 ff., 108 f.<br />

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