03.12.2012 Aufrufe

Kirchliches Asylrecht und Kirchenasyl im demokratischen Rechtsstaat

Kirchliches Asylrecht und Kirchenasyl im demokratischen Rechtsstaat

Kirchliches Asylrecht und Kirchenasyl im demokratischen Rechtsstaat

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Obwohl die „Ges<strong>und</strong>beter-Entscheidung“ eine Unterlassungstat zum Gegenstand hat,<br />

stellt das BVerfG seine Ausführungen über die Ausstrahlungswirkung des Gr<strong>und</strong>rechts<br />

aus Art. 4 Abs. 1 GG in einen Zusammenhang, der über das Unterlassen hinausreicht <strong>und</strong><br />

„Tun oder Unterlassen“ umfasst. 291<br />

Das strafrechtliche Delikt ist seinem Wesen nach die schuldhafte Verletzung eines für<br />

alle gewährleisteten Rechtsgutes, es erscheint als eine Störung des allgemeinen<br />

Rechtsfriedens. 292 Auch <strong>im</strong> Hinblick auf die Strafzwecke erscheint eine Bestrafung der<br />

<strong>Kirchenasyl</strong> Gewährenden unangemessen. 293 Eine Strafverfolgung verstößt dann gegen<br />

den verfassungsrechtlichen Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit, wenn feststeht, dass<br />

durch die Anwendung der einschlägigen Strafvorschriften keiner der gesetzlich<br />

anerkannten Strafzwecke zu erreichen ist; Strafverfolgung wäre in einem solchen Falle<br />

sinnentleert <strong>und</strong> als ein Instrument zur Bekämpfung von Unrecht nicht geeignet. 294 In der<br />

„Ges<strong>und</strong>beter-Entscheidung“ nannte das BVerfG die Strafzwecke der Vergeltung, der<br />

Prävention <strong>und</strong> der Resozialisierung des Täters. 295 An anderer Stelle erkannte es aber auch<br />

weitere Strafzwecke an bzw. verwendete andere, genauere Begriffe: 296 gerechter<br />

Schuldausgleich, Verteidigung der Rechtsordnung, Sühne sowie allgemeine <strong>und</strong> spezielle<br />

Generalprävention 297, negative <strong>und</strong> positive Spezialprävention 298.<br />

Da keiner dieser Strafzwecke <strong>im</strong> Falle der Gewährung von <strong>Kirchenasyl</strong> - wie es<br />

eingangs definiert wurde - zum Tragen kommt, handeln diejenigen, die <strong>Kirchenasyl</strong><br />

gewähren, nicht schuldhaft. 299 Selbst wenn man zu einer Schuldreduzierung auf Null mit<br />

Hirsch 300 verlangt, dass zu einem Gewissenskonflikt objektive Merkmale hinzukommen, in<br />

denen sich die Unrechtsminderung ausdrückt, so wären diese hier gegeben. Denn objektiv<br />

ist die Situation mit einer Notstandssituation vergleichbar, da es den <strong>Kirchenasyl</strong><br />

Gewährenden um die Rettung von Leib oder Leben eines Menschen geht.<br />

291 BVerfGE 32, 98 ff., 108; dies verkennt Maaßen, in: B<strong>und</strong>esamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge<br />

(Hrsg.), Asylpraxis, Bd.3, S. 13 ff., 56 f.<br />

292 BVerfGE 32, 40 ff., 48 (Kriegsdienstverweigerung).<br />

293 Differenzierend <strong>und</strong> für eine Einzelfallabwägung Roßkopf, AWR-Bulletin 1996, S. 103 f.<br />

294 BVerfGE 92, 277 ff., 347 (Strafbarkeit <strong>und</strong> Verfolgbarkeit früherer Mitarbeiter <strong>und</strong> Agenten des MfS <strong>und</strong><br />

des militärischen Nachrichtendienstes der DDR; abweichende Meinung der Richter Klein, Kirchhof <strong>und</strong><br />

Winter).<br />

295 BVerfGE 32, 98 ff., 109; ebenso z.B. BVerfGE 45, 187 ff., 253 f. (lebenslange Freiheitsstrafe) <strong>und</strong><br />

BVerfG, NJW 1995, S. 713. Vgl. auch BVerfGE 32, 40 ff., 48: „Die Kr<strong>im</strong>inalstrafe dient neben der<br />

Abschreckung <strong>und</strong> Besserung der Vergeltung“.<br />

296 Vgl. nur BVerfG, NJW 1995, S. 713; BVerfGE 45, 187 ff., 253 ff.; BVerfGE 92, 277 ff., 349<br />

(abweichende Meinung der Richter Klein, Kirchhof <strong>und</strong> Winter).<br />

297 Allgemeine Generalprävention bedeutet, dass die Gesellschaft vor sozialschädlichem Verhalten bewahrt<br />

werden soll <strong>und</strong> die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens geschützt werden (BVerfGE 45, 187 ff.,<br />

254); demgegenüber beinhaltet die spezielle Generalprävention die Abschreckung anderer, die in Gefahr sind,<br />

ähnliche Straftaten zu begehen (BVerfGE 45, 187 ff., 255). Der positive Aspekt der Generalprävention<br />

zielt darauf ab, das Vertrauen in die Bestands- <strong>und</strong> Durchsetzungskraft der Rechtsordnung zu erhalten<br />

<strong>und</strong> zu stärken <strong>und</strong> damit die Rechtstreue der Bevölkerung zu stärken (BVerfGE 45, 187 ff., 256).<br />

298 Negative Spezialprävention bedeutet Sicherung vor dem einzelnen Täter (BVerfGE 45, 187 ff., 257), die<br />

positive Spezialprävention entspricht dem Resozialisierungsgedanken (BVerfGE 45, 187 ff., 258).<br />

299 A.A. Aurnhammer, S. 192, 195 <strong>und</strong> 212.<br />

300 Strafrecht <strong>und</strong> Überzeugungstäter, S. 23 f.<br />

175

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!