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Kirchliches Asylrecht und Kirchenasyl im demokratischen Rechtsstaat

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unter den besonderen Umständen des Falles eine Bestrafung den Sinn staatlichen Strafens überhaupt noch<br />

erfüllen würde. Ein solcher Täter lehnt sich nicht aus mangelnder Rechtsgesinnung gegen die staatliche<br />

Rechtsordnung auf; das durch die Strafdrohung geschützte Rechtsgut will auch er wahren. Er sieht sich<br />

aber in eine Grenzsituation gestellt, in der die allgemeine Rechtsordnung mit dem persönlichen<br />

Glaubensgebot in Widerstreit tritt <strong>und</strong> er fühlt die Verpflichtung, hier dem höheren Gebot des Glaubens<br />

zu folgen. Ist diese Entscheidung auch objektiv nach den in der Gesellschaft allgemein herrschenden<br />

Wertvorstellungen zu mißbilligen, so ist sie doch nicht mehr in dem Maße vorwerfbar, daß es gerechtfertigt<br />

wäre, mit der schärfsten der Gesellschaft zu Gebote stehenden Waffe, dem Strafrecht, gegen den Täter<br />

vorzugehen.“<br />

Kr<strong>im</strong>inalstrafe sei - unabhängig von ihrer Höhe - bei solcher Fallgestaltung unter<br />

keinem Aspekt (Vergeltung, Prävention, Resozialisierung des Täters) eine adäquate<br />

Sanktion. Die sich aus Art. 4 Abs. 1 GG ergebende Pflicht aller öffentlichen Gewalt, die<br />

ernste Glaubensüberzeugung in weitesten Grenzen zu respektieren, müsse zu einem<br />

Zurückweichen des Strafrechts jedenfalls dann führen, wenn der konkrete Konflikt<br />

zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen bestehenden Rechtspflicht <strong>und</strong> einem<br />

Glaubensgebot den Täter in eine seelische Bedrängnis bringe, der gegenüber die<br />

kr<strong>im</strong>inelle Bestrafung, die ihn zum Rechtsbrecher stempele, sich als eine übermäßige <strong>und</strong><br />

daher seine Menschenwürde verletzende soziale Reaktion darstellen würde.<br />

Diese Ausstrahlungswirkung des Art. 4 Abs. 1 GG hätten die Gerichte bei der<br />

Auslegung <strong>und</strong> Anwendung des § 330 c StGB verkannt.<br />

b) Konsequenzen<br />

Das BVerfG kommt zum Ergebnis, dass der Angeklagte aufgr<strong>und</strong> der Wirkung des<br />

Art. 4 Abs. 1 GG straffrei bleiben muss <strong>und</strong> nicht bestraft werden darf. Es begründet dies<br />

mit den Strafzwecken, lässt letztlich aber offen, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen<br />

des Art. 4 Abs. 1 GG der Tatbestand, die Rechtswidrigkeit oder die Schuld entfallen soll.<br />

Dementsprechend setzte eine Diskussion darüber ein, ob damit die Unanwendbarkeit<br />

strafrechtlicher Normen (Strafbefreiungsgr<strong>und</strong> bzw. Strafaufhebungsgr<strong>und</strong>), ein<br />

Tatbestandsausschließungsgr<strong>und</strong>, ein Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> oder (lediglich) ein<br />

Entschuldigungsgr<strong>und</strong> begründet werden sollte. 283<br />

Der Formulierung nach dürfte ein Tatbestandsausschließungsgr<strong>und</strong> nicht gegeben<br />

sein. 284 Aber auch an einen Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> aus Art. 4 GG hat das BVerfG wohl<br />

nicht gedacht - vor allem deshalb nicht, weil das BVerfG ein Abstellen auf den jeweiligen<br />

283 Vgl. Dreher, Anmerkung zur „Ges<strong>und</strong>beter-Entscheidung“, JR 1972, S. 342 ff., 343; Peters (Anmerkung zur<br />

„Ges<strong>und</strong>beter-Entscheidung“, JZ 1972, S. 85 f., 86) hält allerdings diese Frage jedenfalls dann für<br />

zweitrangig, wenn als entscheidende Kategorie <strong>im</strong> Strafrecht die Strafwürdigkeit angesehen werde.<br />

284 Diese Ansicht dürfte wohl mehrheitlich vertreten werden, vgl. z.B. Radtke, ZevKR 42 (1997), S. 43.<br />

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