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Kirchliches Asylrecht und Kirchenasyl im demokratischen Rechtsstaat

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der Adventgemeinde kenntlich ist. Direkt hinter der Haustüre liegt der Zugang zum<br />

Gottesdienstraum.<br />

Am 3. September 1996 klingelten Polizeibeamte in Zivil. Herr Saguintaah öffnete die<br />

Haustür, da er einen anderen Besuch erwartete. Als er die Beamten als solche erkannte,<br />

versuchte er die Treppe empor zu flüchten, wurde aber verhaftet <strong>und</strong> in Handschellen<br />

abgeführt. Am Morgen des 5. September 1996 wurde er vom Flughafen München nach<br />

Togo abgeschoben. 83<br />

Dies war der erste „Bruch“ eines <strong>Kirchenasyl</strong>s in Bayern <strong>und</strong> bis jetzt der einzige in<br />

Bayern überhaupt. 84 Zudem erfolgte die Durchsuchung ohne richterlichen<br />

Durchsuchungsbefehl.<br />

Dem bayerischen Innenminister Dr. Günther Beckstein wurde daraufhin u.a. vom<br />

Bayerischen Flüchtlingsrat Wortbruch vorgeworfen, da er zuvor zugesichert habe, kein<br />

<strong>Kirchenasyl</strong> mit Polizeigewalt räumen zu lassen. 85 Die Adventgemeinde Wunsiedel<br />

protestierte auch gegen die Verletzung ihrer Kirchenräume. Ebenso wandte sie sich gegen<br />

die Verletzung ihrer Gewissensentscheidung, einem Menschen, der sie um Hilfe gebeten<br />

habe, Schutz zu gewähren. Sie kritisierte ferner, dass die Antwort auf das Petitionsgesuch,<br />

das der Petitionsausschuss des Bayerischen Landtages an den B<strong>und</strong>estag weitergeleitet<br />

habe, nicht abgewartet wurde. „Wir protestieren hiermit deutlich [dagegen], daß ein uns<br />

Schutzbefohlener gegen unseren Willen durch Polizeigewalt in unseren Räumen verhaftet wurde <strong>und</strong><br />

unsere Kirche, wie auch unsere Gewissensentscheidung, einen Hilfesuchenden durch ein <strong>Kirchenasyl</strong> zu<br />

schützen, nicht respektiert wurde. Wir protestieren gegen die Abschiebung von Herrn Saguintaah.“ 86<br />

Das Gebäude sei durch die Leuchtschrift „Adventgemeinde“ deutlich als<br />

Kirchengebäude gekennzeichnet. Demgegenüber verlautete aus dem Innenministerium,<br />

die Örtlichkeit, in der in Wunsiedel Zuflucht gewährt worden sei, wäre nicht klar als<br />

„kirchlicher Raum“ erkennbar gewesen; die Festnahme sei nicht in religiös-kirchlichen<br />

Zwecken dienenden Räumen erfolgt.<br />

83 Vgl. zu dem Vorgang <strong>und</strong> den teils heftigen Reaktionen (auch seitens des bayerischen Landesbischofs v.<br />

Loewenich) Joisten (Hrsg.), epd-Bayern Dokumentation 7/1996, S. 28 ff. Ferner SZ v. 5.9.1996, S. 44, FAZ<br />

v. 5.9.1996, S. 4, SZ v. 6.9.1996, S. 43, SZ v. 7./8.9.1996, S. 47 <strong>und</strong> SZ v. 19.9.1996, S. 55.<br />

84 Vgl. dazu auch Domröse, in: epd-Bayern Dokumentation 7/1996, S. 14 ff.<br />

85 Mitte März 1996 hatte er gesagt, ein Polizeieinsatz in Kirchen werde keinesfalls in Erwägung gezogen:<br />

„Wir gehen nicht in Kirchen, das widerspricht dem Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit.“, vgl. Joisten<br />

(Hrsg.), epd-Bayern Dokumentation 7/1996, S. 21. Mitte Juni 1996 hatte Beckstein erklärt, abgelehnte<br />

Asylbewerber seien in Bayern bis auf weiteres in kirchlichen Räumen vor Verhaftung <strong>und</strong> Abschiebung<br />

sicher: „Daß wir mit Polizei in kirchliche Räume hineingehen, halte ich für unverhältnismäßig“. Die<br />

Entscheidung über einen solchen Einsatz liege alleine bei ihm oder seinem Staatssekretär, vgl. Joisten<br />

(Hrsg.), epd-Bayern Dokumentation 7/1996, S. 26. Noch Ende August 1996 hatte sein Pressesprecher<br />

Hillenbrand gesagt, Polizeieinsätze in sakralen Räumen werde Beckstein nicht zulassen, da dies<br />

unverhältnismäßig sei, vgl. Joisten (Hrsg.), epd-Bayern Dokumentation 7/1996, S. 28. Vgl. auch SZ v.<br />

10.9.1996, S. 40, SZ v. 23.9.1996, S. 45, SZ v. 25.9.1996, S. 4 <strong>und</strong> 51 sowie Publik-Forum Nr. 22 v.<br />

22.11.1996, S. 29 f.<br />

86 Aus einem Brief des Pastors Matthias Grießhammer an den bayerischen Innenminister Dr. Günther Beckstein<br />

vom 9. September 1996.<br />

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