Die Kunst der Radiotelegrafie
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Wort-Zählung angegeben wurden, die Funker aber im sogenannten Phillips-<br />
Code sendeten und empfingen, einem Abkürzungs-System, das die Anzahl <strong>der</strong><br />
zu übertragenden Buchstaben und Zahlen um etwa 40% reduzierte [siehe Kapitel<br />
27, S. 57]. Wenn das zutrifft, lag das tatsächliche CW-Tempo niedriger,<br />
als wenn die Angabe sich auf vollständig übertragenen englischen Text beziehen<br />
würde.)<br />
Viele Experten sind sich darin einig, daß bei hohen Geschwindigkeiten oberhalb<br />
von 45–50 WpM das Mitschreiben (aber nicht das Gehörlesen) schnell<br />
zu einer sehr aufreibenden Angelegenheit wird und nur für kurze Zeitspannen<br />
durchgehalten werden kann. Wenn das Tempo immer weiter steigt, erfor<strong>der</strong>t das<br />
Zu-Papier-Bringen des gehörten Textes höchste Aufmerksamkeit und schließt alles<br />
an<strong>der</strong>e von <strong>der</strong> Wahrnehmung aus. Manche beschrieben es als einen Hypnoseähnlichen<br />
Zustand. (Was im großen Unterschied zu dem “angenehmen” Arbeitsbereich<br />
von 20 bis 40 WpM steht, abhängig von den individuellen Fähigkeiten.)<br />
Selbst ein kleinstes Nachlassen <strong>der</strong> Aufmerksamkeit kann hier verheerende Folgen<br />
haben. Da wir das Mitschreiben schon behandelt haben (Kapitel 8), wollen<br />
wir uns nun dem Gehörlesen zuwenden.<br />
<strong>Die</strong> Klang-Barriere<br />
Klang-Bewußtsein – von den Details zur Bedeutung<br />
Vor etwa 60 Jahren fragte nach einem offiziellen Amateur-Telegrafie-Wettbewerb<br />
einer <strong>der</strong> Schiedsrichter – früher selbst Telegrafist – den jungen Mann, <strong>der</strong> mit<br />
Tempo 56 WpM den Geschwindigkeits-Ausscheid gewonnen hatte: ” Sag mal,<br />
Junge, hast Du das wirklich alles mitgekriegt?“ – ” Klar. Wieso?“ – ” Hm. Alles,<br />
was ich gehört habe, war eine endlose Kette von Dits ohne irgendeine Pause<br />
dazwischen.“ Der Schiedsrichter hatte seine persönliche Grenze erreicht.<br />
Für das Überschreiten <strong>der</strong> Grenze, jenseits <strong>der</strong>er eine Person nicht länger<br />
die Einzelheiten des Morsecodes bewußt aufnehmen kann, hat man die Bezeichnung<br />
” Ton-Bewußtsein“ geprägt. Bei Geschwindigkeiten um 50 WpM wird es<br />
unmöglich, die einzelnen Dits und Dahs auszumachen – sie werden als ein einziges<br />
Brummen gehört. <strong>Die</strong> bewußte Wahrnehmung dieser Details hört auf und<br />
wenn jemand dann trotzdem noch den Code versteht, muß bei ihm eine ganz<br />
spezielle Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ton-Wahrnehmung und -verarbeitung stattgefunden<br />
haben. Das Tonbewußtsein muß in den nächsten Gang schalten, von <strong>der</strong> Erkennung<br />
von Buchstaben hin zur Erkennung von Worten und Satzteilen.<br />
<strong>Die</strong>se Fähigkeit entwickelt man, wenn man den automatischen mentalen<br />
Funktionen erlaubt, komplett die Kontrolle über die Signal-Verarbeitung unterhalb<br />
des Wort-Niveaus zu übernehmen ohne die geringste bewußte Beeinflussung<br />
dieses Prozesses, so daß man sich ausschließlich nur noch <strong>der</strong> Worte, Redewendungen<br />
und <strong>der</strong> Bedeutung des Textes bewußt wird. Man muß jeglichen Versuch<br />
unterbinden, die Details des Codes erkennen zu wollen.<br />
Wie können solche Fertigkeiten entwickelt werden?<br />
Ein Funker tat es auf die folgende Art: als er 14 WpM schon ziemlich gut beherrschte,<br />
versuchte er es mit einem Tonband mit 21 WpM und war erstaunt,<br />
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