Die Kunst der Radiotelegrafie
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Kapitel 13<br />
<strong>Die</strong> Rolle des Gedächtnisses<br />
in <strong>der</strong> Telegrafie<br />
Warum visuelles Lernen des Morsecodes nicht funktioniert<br />
Wenn Sie das Morsealphabet so wie ich früher nach einer gedruckten Tabelle<br />
mit Punkten und Strichen gelernt haben o<strong>der</strong> nach einem schlau ausgedachten<br />
Diagramm, hatten Sie sicher wie ich damals den Eindruck, daß Sie es gut<br />
können. Möglicherweise haben Sie auch bloß 20 Minuten gebraucht, um sich alles<br />
einzuprägen (wie es einige Werbetexte behaupten) o<strong>der</strong> vielleicht einen o<strong>der</strong><br />
zwei Tage. Wenn Sie dann versucht haben, mit Ihrer Morsetaste etwas zu geben,<br />
ging das ganz einfach: Sie hatten vor Ihrem inneren Auge das Bild mit den<br />
Punkten und Strichen, nach dem Sie jeweils kürzer o<strong>der</strong> länger auf die Taste<br />
drücken mußten, um die Zeichen zu erzeugen. Und Sie hatten das Gefühl, den<br />
Morsecode zu beherrschen.<br />
<strong>Die</strong> Ernüchterung kam, als Sie versucht haben zu hören. <strong>Die</strong> gehörten Töne<br />
paßten irgendwie nicht zu den Punkten und Strichen, die Sie ”kannten”. Warum<br />
sollte das so schwierig sein, die Töne in die Punkte, Striche und Buchstaben zu<br />
übersetzen, die Ihnen so gut bekannt waren? <strong>Die</strong>jenigen, die die Funktion des<br />
Gedächtnisses untersucht haben, berichten, daß unser Gehirn über verschiedene<br />
separate ’Speicherbänke’ verfügt: für optische, für akustische Wahrnehmung, für<br />
Tastsinn, Geschmack und Geruch. (siehe z.B. ” Memory: Surprising New Insights<br />
Into How We Remember and Why We Forget“, Elizabeth Loftus, 1980)<br />
Jetzt erkennen wir, worin das Problem liegt: es gibt keine direkte Verbindung<br />
im Gehirn, um die Töne <strong>der</strong> Morsesignale mit den optisch gelernten Mustern<br />
<strong>der</strong> Punkte und Striche zu verknüpfen. Es handelt sich um zwei völlig verschiedene<br />
Sinneseindrücke (optisch und akustisch), die keinerlei Gemeinsamkeiten<br />
aufweisen. Um diese Lücke zu schließen und sie miteinan<strong>der</strong> in Beziehung zu<br />
bringen, müssen wir durch bewußtes Nachdenken eine Brücke bauen: indem wir<br />
die Klangmuster in ein Muster aus Punkten und Strichen umformen, so daß unser<br />
visuelles Gedächtnis, wo das optische Bild <strong>der</strong> Zeichen gespeichert ist, diese<br />
interpretieren kann. Das ist es, worüber wir vorhin gestolpert sind und wodurch<br />
wir unter Zeitdruck Zeichen verpassen o<strong>der</strong> überhaupt nichts mehr erkennen.<br />
Wenn wir auf diese Weise weiter machen, müssen wir für jedes einzelne Zeichen<br />
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